Sonntag, 31. August 2025

Das Notstromaggregat

Eine abstrakte, dunkle Bronzeskulptur von zwei ineinander verschlungenen menschlichen Figuren, die vertikal in die Höhe und in den Boden ragen. Sie stehen in der S-Bahn-Station am Potsdamer Platz in Berlin auf einem runden Sockel vor einem modernen Gebäude mit Glasdach und einer Rolltreppe. Im Hintergrund ist ein Hochhaus zu sehen. An einer Betonwand daneben hängt ein großes Plakat mit der Aufschrift 'Einkaufen ist Genuss!'. Die Szene wirkt düster unter einem bewölkten Himmel.

Ich sah neulich wieder ein Pärchen, das in meinen Augen völlig armselig ist. Als Paar. Einzeln kenne ich sie nicht. Sie ist eine Plapperstrippe, dominant, bestimmt alles – von der Wohnungseinrichtung über die Katzen samt Namen bis hin zu den Büchern, die er lesen darf. Er eine Wurst, wie er dasaß und nicht den Mund aufbekam. Vielleicht ist er von Natur aus schüchtern. Vielleicht ist er erst über die Jahre so geworden. Schwer zu sagen. Jedenfalls: keine schöne, keine erstrebenswerte Beziehung. Nach meinen alten Maßstäben.

Mittwoch, 27. August 2025

Zu sich holen

 

Das Bild zeigt den Schriftsteller Giancarlo Pugliese am Grab von Wolfgang Herrndorf. Im Vordergrund eine angeschnittene braune Bierflasche. Giancarlo, auch bekannt als Victor Mancini, trägt Bart, Tattoos am rechten Unterarm und ein dunkles T-Shirt mit der Aufschrift ‚fontaines d.c.‘. Hinter ihm der Grabstein mit der Inschrift ‚WOLFGANG HERRNDORF‘ sowie den Lebensdaten ‚1965–2013‘, daneben Blumen. Im Hintergrund ein rotes Ziegelgebäude und Bäume.

Gestern war der 12. Todestag von Wolfgang Herrndorf. Wie jedes Jahr besuchte ich sein Grab, sprach mit den Blumen und dem Stein. Es tut gut, mit einem Toten zu sprechen. Besser als mit den Lebenden zurzeit.

Nicht, dass ich ihn gekannt hätte. Leider nicht. Oder zum Glück nicht. Wäre er nett und mir ein Freund gewesen, würde er mir heute fehlen. Wäre er mir unsympathisch gewesen, würde mir seine Literatur wohl nicht so gefallen, weniger bedeuten. So oder so setze ich mich einmal pro Jahr, an seinem Todestag, an sein Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof und trinke ein Bier. Mit seinem Stein. So auch gestern.

Montag, 25. August 2025

LITERATUR ist mir geblieben XI: Akuter Stress vom Lesetreff

 

Auf einer Fensterbank stehen in einem weißen Topf eine verwelkte Pflanze mit langen, herunterhängenden Blättern. Daneben liegen zwei Bücher: "Hunchback" und "Denk dir die Stadt". Im Hintergrund ist die Straße mit modernen Gebäuden zu sehen, und die Sonne scheint.

Eine Leserin fragte mich, ob ich nicht die in Here comes the Prozac erwähnten Tricks verraten könnte, bei akuten Belastungsreaktionen oder Panik im Anflug. Gern teile ich sie mit euch, auch wenn wir hier nicht von Raketenwissenschaft reden. Es sind ganz einfache, dennoch sehr hilfreiche Tipps. Ihr habt sie bestimmt schon mal gehört – ich kannte sie, ehrlich gesagt, nicht:

Samstag, 23. August 2025

Here comes the Prozac

Verwittertes Warnschild an einer Felswand: ein stilisierter Mensch droht über eine Klippe zu stürzen.
 

Ich bin heute früh wach. Früher als sonst. Eher wie damals, als es mir noch richtig schlecht ging – im vergangenen Dezember und Januar. Vielleicht, weil gestern so ein komischer Tag war.

Morgens war ich in der Klinik, im ambulanten Versorgungszentrum der Onkologie, also da, wo ich einmal im Monat hingehe, um mich durchchecken zu lassen.

Donnerstag, 21. August 2025

Kognitives Massaker

Straßenszene in Berlin mit mehreren Radfahrern im Vordergrund, dahinter die Backsteinmauern und der Zaun der Justizvollzugsanstalt Moabit bei sonnigem Wetter.

Vieles geht mir durch den Kopf. Ein einziges Durcheinander da oben. Ich möchte euch daran teilhaben lassen. Vorgestern telefonierte ich mit meinem Freund D. Das ist der, mit dem ich neulich in Irland war. Ich erzählte ihm von meinen neuen Erkenntnissen über mich. Sie beunruhigen mich, gehören aber zugleich zu meinem neuen Leben. Kann nichts dagegen machen. Might as well accept and include them instead of pushing them away, wie man so schön sagt.

Dienstag, 19. August 2025

Selbsthilfe-Urlaub

Außenbereich des vietnamesischen Restaurants 'Kotti Dang' in Berlin mit leuchtend pinkem Neonschild. Links im Bild steht ein weißes dreirädriges Elektrofahrzeug (Twike) mit geöffnetem Dach, daneben dessen Besitzer. Auf der Karosserie des Fahrzeugs steht 'Spass ist gesünder als Konsum'. Die Szene zeigt eine typische Berliner Straße mit Kopfsteinpflaster, im Hintergrund Altbauten und Geschäfte.

Gestern hinterließ mir U. einen schönen Kommentar unter dem letzten Beitrag "Der Puff da draußen". Voller Sympathie bot er mir die Hand. Das weiß ich zu schätzen. Denn das, was er getan hat, kann nunmal nicht jede:r machen. Das kann nur machen, wer selbst am Sterben ist. Nicht stirbt. Sterben tun viele. Aber das langsame Sterben, nachdem einem die Ärzte gesagt haben: "Nö Alta, da jeht nix mehr. Wann, weeß ick ooch nich. Abba jut wird dit nich mea."

Samstag, 16. August 2025

Der Puff da draußen

Eine blau-grüne, patinierte Bronzeskulptur, die aus drei Figuren besteht. Eine stehende Figur, die eine kniende Figur anblickt und mit der rechten Hand nach unten zeigt. Zwischen ihnen liegt eine dritte Figur auf einer Bahre, die in Richtung der knienden Figur blickt. Die gesamte Skulptur ist im Garten auf einem sandigen Untergrund platziert, mit grünen Büschen und Bäumen im Hintergrund. Links sind gelbe und grüne Busse im Vorbeifahren zu sehen.


Vor vielen Jahren, lange vor meiner Erkrankung, hatte ich ein Erstgespräch mit einer Psychoanalytikerin. Der Anfang des Gesprächs lief ungefähr folgendermaßen ab:

Sie: Was führt Sie zu mir?
Ich: Der Puff da draußen.
Sie: Ich verstehe Sie nicht. Was meinen Sie?
Ich: Deutschland. Das Gefühl von Ungerechtigkeit. Von tiefer Einsamkeit.
Sie: Wissen Sie, die moderne Psychologie geht nicht mehr davon aus, Menschen zu „heilen“. Vielmehr versuchen wir Psychologen zu helfen, den Puff da draußen, wie Sie sagen, erträglicher zu machen. Er wird immer ein Puff bleiben. Aber vielleicht ist er mithilfe einer Therapie nicht mehr ganz so schlimm.

Donnerstag, 14. August 2025

Abwärtsspirale

Betonbrücke mit massiven Pfeilern und geschwungener Architektur. Unter der Brücke erstreckt sich eine karge, braune Wiese. An einem der Pfeiler steht in schwarzer Schrift das italienische Graffiti 'CHE CAZZO RIDI?' (Was zum Teufel lachst du?). Im Hintergrund sind weitere Brückenelemente und warmes Abendlicht zu sehen.

Ich sitze in der Küche, höre ein altes Album von The Church, einer australischen Band, und versinke im Selbstmitleid. Ich komme aus dem Loch nicht mehr raus. Gestern war ich im Schwimmbad. Das war die Hölle. Nicht das Schwimmen an sich – das ging einigermaßen. Auch wenn meine Lunge diese angestrengte Atmung nicht mag. Um ruhig und gleichmäßig zu atmen, braucht es viel Übung bzw. regelmäßiges Schwimmen. Und weniger Menschen auf der Bahn. Beides war nicht der Fall.

Dienstag, 12. August 2025

Down in a Hole

Menschen schwimmen in der rauen See neben einem Sprungturm und einer Felsplattform an der Küste von Salthill in Galway.
 

Ich stecke in einem Loch. Ich kann mich kaum motivieren, diese Zeilen zu schreiben. Dabei muss ich sie nur abtippen. Denn es sind ein paar Zeilen aus meinen Morning Pages. Ich habe heute etwas Krasses realisiert, das mir den Boden unter den Füßen wegzieht. Lest selbst. Hier exakt, wie mir die Gedanken kamen:

Samstag, 9. August 2025

"Being natural is simply a pose"

Eine Statue des Schriftstellers Oscar Wilde, der lässig auf einem großen, hellbraunen Felsen liegt. Er trägt einen grünen Mantel, eine rote Weste und graue Hosen. Sie ist im Merrion-Park in Dublin

Irland war wie erwartet schön – diese Steilküsten, die raue See, die Kleinstädte mit ihren bunten Holzfassaden und die alten Friedhöfe, auf denen die Keltenkreuze schief im Wind stehen. Sogar das Essen war yummy: Porridge vom Feinsten, Sodabread mit gesalzener Butter, cremige Seafood Chowder, Guinness & Beef Stew. Hat mich echt überrascht. Aber am meisten punktet das Volk. Dort ist man lustig und herzlich zugleich – genau das, was Berlin fehlt.

Samstag, 2. August 2025

Resteverwertung

Ein roter Beutel mit Salzbrezeln, zwei rote Pappbehälter mit Essen zum Mitnehmen, ein Plastikbeutel mit Speiseresten und ein Plastikbeutel mit reifen Bananen stehen auf einem alten Heizungskasten in einem Hausflur.

Wie man im Bild sehen kann, wirft man bei uns Essen nicht so gern weg. Grundsätzlich eine gute Sache, aber appetitlich sieht das nicht aus, was da jemand aus dem Haus hinterlassen hat. Ich jedenfalls habe nicht zugelangt, auch nicht bei den Bananen, die sicherlich noch gut genug sind für einen Shake.
© Vic Mancini on Death Row
Maira Gall