Mittwoch, 27. August 2025

Zu sich holen

 

Das Bild zeigt den Schriftsteller Giancarlo Pugliese am Grab von Wolfgang Herrndorf. Im Vordergrund eine angeschnittene braune Bierflasche. Giancarlo, auch bekannt als Victor Mancini, trägt Bart, Tattoos am rechten Unterarm und ein dunkles T-Shirt mit der Aufschrift ‚fontaines d.c.‘. Hinter ihm der Grabstein mit der Inschrift ‚WOLFGANG HERRNDORF‘ sowie den Lebensdaten ‚1965–2013‘, daneben Blumen. Im Hintergrund ein rotes Ziegelgebäude und Bäume.

Gestern war der 12. Todestag von Wolfgang Herrndorf. Wie jedes Jahr besuchte ich sein Grab, sprach mit den Blumen und dem Stein. Es tut gut, mit einem Toten zu sprechen. Besser als mit den Lebenden zurzeit.

Nicht, dass ich ihn gekannt hätte. Leider nicht. Oder zum Glück nicht. Wäre er nett und mir ein Freund gewesen, würde er mir heute fehlen. Wäre er mir unsympathisch gewesen, würde mir seine Literatur wohl nicht so gefallen, weniger bedeuten. So oder so setze ich mich einmal pro Jahr, an seinem Todestag, an sein Grab auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof und trinke ein Bier. Mit seinem Stein. So auch gestern.

Nur hatte es dieses Jahr eine andere Qualität. Früher war ich gesund, er an einem Glioblastom gestorben. Ich beklagte, dass er zu früh gegangen sei. Mit 48, fünfeinhalb Büchern, einem phänomenalen Blog und zwei weiteren posthum veröffentlichten Büchern.

Er hatte In Plüschgewittern (2002), Diesseits des Van Allen-Gürtels (2007) und die Rosenbaum-Doktrin (2007), als 2010 die Diagnose kam. Dreieinhalb Jahre später war er tot. Dazwischen schrieb er noch Tschick (2010) und Sand (2011). Sein Blog Arbeit und Struktur erschien 2013 posthum als Buch, online ist er immer noch kostenlos zu lesen – Arbeit und Struktur. Danach kam das Fragment Bilder deiner großen Liebe (2014). Und 2018 die Stimmen.

Ich selbst habe es gerade mal zu einem Roman gebracht – Bloß weg (2022). Und einer Kurzgeschichte mit Johanna Sailer: Schneedeck (2024). Das war’s. Der neue Roman zieht sich. Die Graphic Novel liegt nicht in meiner Macht. Die Kurzgeschichten warten, bis der Roman fertig ist. Und das Album wartet auf eine Schreibpause.

Diesmal fragte ich Wolfgang, ob er mich schon zu sich holen will. 

Ich bin müde. Und einsam. Mir ist nach Sterben zumute.

V. M.

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© Vic Mancini on Death Row
Maira Gall