Dienstag, 19. August 2025

Selbsthilfe-Urlaub

Außenbereich des vietnamesischen Restaurants 'Kotti Dang' in Berlin mit leuchtend pinkem Neonschild. Links im Bild steht ein weißes dreirädriges Elektrofahrzeug (Twike) mit geöffnetem Dach, daneben dessen Besitzer. Auf der Karosserie des Fahrzeugs steht 'Spass ist gesünder als Konsum'. Die Szene zeigt eine typische Berliner Straße mit Kopfsteinpflaster, im Hintergrund Altbauten und Geschäfte.

Gestern hinterließ mir U. einen schönen Kommentar unter dem letzten Beitrag "Der Puff da draußen". Voller Sympathie bot er mir die Hand. Das weiß ich zu schätzen. Denn das, was er getan hat, kann nunmal nicht jede:r machen. Das kann nur machen, wer selbst am Sterben ist. Nicht stirbt. Sterben tun viele. Aber das langsame Sterben, nachdem einem die Ärzte gesagt haben: "Nö Alta, da jeht nix mehr. Wann, weeß ick ooch nich. Abba jut wird dit nich mea."

Danach stirbt man langsam. Der Prozess, den man selbst mitverfolgt, ist zermürbend. Jemandem dann die Solidarität auszusprechen hat was von wahrer Kameraderie. Wie die Soldaten in den amerikanischen Filmen, die sich wiedererkennen, wenn sie als Kriegsveteranen aus Vietnam zurückkehren und nie wieder normal sind. So ähnlich ist das, nur ganz ohne Gewalt und mit weniger Pathos.

Zuerst dachte ich tatsächlich, dass ich endlich nicht mehr allein bin. Ein perverser Gedanke. Ich kann mich nicht darüber freuen, dass ein anderer Mensch auch sterben muss. Trotzdem danke, U., für die Anteilnahme, die Solidarität. Dann fiel mir heute Nacht ein, dass es ja noch B. gibt, die sich gleich zu Anfang gemeldet hat. Die hatte ich bei dem Gedanken ganz kurz vergessen.

Das Triumvirat an Krebsen: Bauchspeicheldrüse, Prostata und Lunge. Hallelujah! B. und U. – uns eint der unvermeidliche, unnatürliche Tod. Leider wohnt ihr beide zu weit weg, als dass man sich mal auf ein gemeinsames Bier treffen könnte, um dies zu begießen. Was bleibt einem sonst noch übrig.

Falls ihr mal in Berlin seid, meldet euch gern bei mir. Das gilt auch für andere dem Tod Geweihte. Ich freue mich über Austausch oder auch nur über ein gemeinsames Nebeneinandersitzen und Schweigen.

Zum Abschluss, was ich nach dem Kommentar verfasst und an Organisatoren von Selbsthilfegruppen rausgeschickt habe:

"Sehr geehrte Damen und Herren,

ich wurde im Dezember im Alter von 50 Jahren mit unheilbarem Lungenkrebs diagnostiziert und lebe seither unter palliativmedizinischer Behandlung. Ich wohne allein in Friedrichshain und merke, dass mich die Situation immer wieder überfordert. 

Über das Sekis-Berlin fand ich lediglich eine Selbsthilfe-Gruppe für Lungenkrebspatient:innen, in der jedoch hauptsächlich über Medikamente gesprochen wird – weniger über Gefühle, Ängste oder seelische Belastungen.

Ich möchte Sie fragen, ob Sie mir helfen können, eine Selbsthilfe-Gruppe zu finden, in der sich unheilbar kranke Menschen austauschen. Entscheidend ist dabei, dass die Betroffenen nicht nur chronisch krank sind, sondern tatsächlich mit einer tödlichen Diagnose leben und wissen, dass sie sterben werden.

Können Sie mir sagen, ob es eine solche Gruppe in Berlin gibt? Oder nennen Sie mir bitte eine Anlaufstelle, an die ich mich wenden kann!

Die Berliner Krebsgesellschaft war mir bei Formalitäten eine Hilfe. Ansonsten eher Fehlanzeige. 

Ich bin natürlich in psychotherapeutischer Behandlung, aber was fehlt, ist der Austausch auf Augenhöhe mit Menschen im selben Boot. 

Vielen Dank vorab für Ihre Unterstützung.

Mit freundlichen Grüßen
V. M."

Hier die erste Antwort, sofort im Anschluss:
 
"Hallo und vielen Dank für Ihre Nachricht!

Das Büro der Selbsthilfe-Kontaktstelle ist derzeit nicht besetzt. E-Mails werden nicht weitergeleitet. Wir bitten um Verständnis.

Dankeschön und liebe Grüße,
J. S."

Wie ihr seht – selbst die Hilfe ist im Urlaub. Nur mein Krebs nicht.
 
Euer
Victor Mancini 

Keine Kommentare

Kommentar veröffentlichen

© Vic Mancini on Death Row
Maira Gall