Ich bin heute früh wach. Früher als sonst. Eher wie damals, als es mir noch richtig schlecht ging – im vergangenen Dezember und Januar. Vielleicht, weil gestern so ein komischer Tag war.
Morgens war ich in der Klinik, im ambulanten Versorgungszentrum der Onkologie, also da, wo ich einmal im Monat hingehe, um mich durchchecken zu lassen.
Es war jemand Neues da. Not the usual suspects.
Die Lieblingsonkologin des Todes ist auf Station. Ob „für immer“ oder nur vorübergehend – keine Ahnung. Ich traue mich nicht zu fragen. Auch die zweite der Todesengel, die sich sonst um mich kümmert, war weg. Und der einzige Mann, der mir vor zwei Monaten mal gegenüber saß, ist ebenfalls verschwunden. Entweder die spielen Wechselkarussell. Oder ich drehe durch.
Jedenfalls kümmerte sich gestern eine Fr. Dr. K. um mich. Und das tat sie nicht gut. Ich bin seit über einer Woche ziemlich down, wie ihr vielleicht aus den letzten Posts herausgelesen habt. Ich reagiere auf keine Nachrichten mehr, will keine Freunde sehen. Ihr normales Leben deprimiert mich, zieht mich in die Untiefen des Tongagrabens.
Fr. Dr. K. machte es noch schlimmer. Sie schaute mich enttäuscht an. Wie könne ich nur so ein Gesicht machen, wo ich doch solches Glück habe. Diese Mutation sei selten, könne medikamentös behandelt werden. Das sei doch schon etwas. Dass ich trotzdem sterben muss, wollte sie nicht gelten lassen. Als ihr Enthusiasmus nicht auf mich übersprang, war sie noch enttäuschter.
Ich sagte, sie solle sich keine Sorgen machen. Ich würde später noch zu meiner Therapeutin gehen – die würde mich schon irgendwie geradebiegen. Daraufhin folgender Dialog:
Sie: Ich glaube, Sie brauchen mehr als das.
Ich: Wie meinen Sie das? Antidepressiva?
Sie: Genau. Da muss der Psychiater ran, nicht die Psychologin.
Ich: Da haben wir sie ja wieder, die Schulmedizin. Immer gleich die Medikamentenkeule. (Ich musste sofort an Tony Soprano denken: Here we go, here comes the Prozac.)
Als sie mir das Clonazepam verschreiben sollte, war sie verwundert. Wer mir das verordnet habe, wollte sie wissen – statt im Rechner nachzuschauen. Ich erklärte, dass ich wegen der Nebenwirkungen von Lorviqua unter starker Nervosität leide, die auf meine Zähne und mehr schlägt. Sie wirkte beleidigt, als hätte ich den großartigen Erfolg des Medikaments geschmälert.
So, wie ein Vater einst seinen Kindern mit dem Presslufthammer einbläute: Weinen ist verboten. Denn Weinen ist Schwäche.
Jedenfalls verließ ich das Besprechungszimmer niedergeschlagener, als ich es betreten hatte. Mein Kopf hing mir auf dem Bauchnabel. Wäre die Frau im blauen Kittel nicht gewesen – die sonst bei den Gynäkologen am Empfang sitzt –, wäre ich wahrscheinlich aus dem Fenster im dritten Stock gesprungen.
Sie nahm mir an diesem Tag das Blut ab, nicht die Azubis wie sonst. Und sie hatte eine ordentliche Portion Empathie übrig. Manchmal reicht ein Lächeln.
Bei meiner Therapeutin war es auch wieder gut. Habe ein paar Tricks gelernt für die nächsten anxiety attacks und wenn mir Ansammlungen von Menschen zu viel werden – was früher nie der Fall war.
Ich habe PTSD. Ich bin super alert. Das macht Sinn. Genau so fühle ich mich: immer SUPER ALERT. Seit den Hunden, der Diagnose, dem Krebs, dem Alleinsein danach.
Fuck, I'm out. For today.
Ich komme wieder, keine Angst. Der Blog hält mich am Leben.
Vic Mancini
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