Heute, exakt vor einem Jahr, erhielt ich die Diagnose: Lungenkrebs im Endstadium. Seither bin ich ein Palliativfall. Hätte man nicht durch eine Molekularbiopsie festgestellt, dass mein Tumor eine genetische Mutation hat – ein sogenanntes ALK+ Adenokarzinom –, wäre ich jetzt vermutlich schon tot. Davon bin ich überzeugt, denn ich weiß noch genau, wie rapide sich mein gesundheitlicher Zustand verändert hat, als ich in Italien war.
Innerhalb eines Monats war der Tumor als Metastase über die Lymphknoten und die Blutbahn in mein Hirn gelangt. Dort wuchs er so rasant, dass ich praktisch blind wurde. Ich hatte heftige Kopfschmerzen, für die man mir im Krankenhaus Morphium geben wollte, wenn ich nicht abgelehnt hätte. Ich hatte auch eine mittlere Psychose, die sich in Hypersensibilisierung äußerte: Lärm, extreme Gerüche, hektische Bewegungen wurden mir unerträglich.
Das Medikament LORVIQUA hat mich gerettet. Nicht vor dem Tod – den kann es nicht verhindern –, aber es kann ihn hinauszögern. Ihr müsst euch das so vorstellen:
Der Haupttumor und die Metastasen sind auf ein Minimum zusammengeschrumpft (Remission). Das Medikament blockiert das mutierte ALK-Protein, damit sich die „verseuchten“ Zellen nicht weiter teilen. Dadurch setzt in vielen dieser Zellen der Selbstzerstörungsprozess ein (Apoptose), und mir geht’s gut. Die abgestorbenen Überreste werden vom Immunsystem zersetzt und abtransportiert. Dass der Tumor nicht ganz verschwunden ist (Residuen), liegt daran, dass dort jetzt Narben- oder Bindegewebe ist. Das ist nicht mehr aktiv, aber es haut auch nicht ab, sondern schlummert da.
Solange diese „schlafenden“ Krebszellen keinen neuen Weg finden – also eine neue Mutation, die Lorviqua ignoriert –, werde ich leben.
Zuerst war es sehr schlimm für mich. Die Nebenwirkungen, die neuen Lebensumstände: Umstellung der Ernährung, die Arbeitslosigkeit und die daraus resultierende Einstufung als Sozialfall mit Grundsicherung. Zu wissen, dass man keine Zukunft mehr hat; dass der Tod einen jederzeit aufsuchen kann; nicht zuletzt die Loslösung von Familie und Freunden, weil man auf Basis der neuen Situation keinen Umgang miteinander gefunden hat.
Aber mir geht es gut.
Wie im Beitrag A Shroud Has No Pockets bereits erwähnt: Ich habe meinen Frieden gefunden. Ich habe wirklich verinnerlicht: Ja, ich werde sterben, und zwar früher als die meisten Menschen in meinem Umfeld – wenn ihnen nicht etwas ähnlich unvorhergesehen Verheerendes zustoßen sollte.
Aber: Bis dahin lebe ich und möchte dieses Leben nicht mit Trübsal verbringen. Ich muss unweigerlich an die anonyme Person von damals denken, die in einem Brief an mich sagte: „Du stirbst nicht. Du LEBST... Du bist jemand, der das Leben LIEBT!“ Damit hatte sie recht. Ich liebe das Leben, und ich werde leben, solange ich lebe. Womit sie nicht recht hat: dass man sich selbst heilen kann, indem man nur dran glaubt. Nein, das ist nicht mein Ding. An Schwurbeleien zu glauben. Bin ich jetzt Mormone oder Aluhutträger?

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