Sonntag, 21. Dezember 2025

Jinx the Minx

Innenraum des Restaurants Weltwirtschaft im Haus der Kulturen der Welt in Berlin mit gedeckten Tischen, sitzenden Gästen, einer großen Statue sowie Lametta und einer hängenden Diskokugel.

Seit zwei Tagen trage ich nun diese Neuigkeit mit mir herum und weiß nicht genau, wie ich es sagen soll, ohne die Sache zu jinxen. Gleichzeitig glaube ich nicht an jinxen. Das wäre Aberglaube, und dafür bin ich zu fatalistisch. Alles kommt so, wie es kommt.

Jinxen ist nach Merriam-Webster: "to foredoom to failure or misfortune : bring bad luck to."

Mit anderen Worten: Man will den Tag nicht vor dem Abend loben, weil man Angst davor hat, dass dann doch noch etwas Unvorhergesehenes passiert, das einem einen Strich durch die Rechnung macht.

Konkret ist Folgendes passiert. Ich hatte am Freitag meinen regulären Kontrolltermin in der Klinik – den ersten seit meiner Rückkehr aus Australien/Philippinen. Im Gespräch kamen wir noch einmal auf die Lebenserwartung zu sprechen. Da sah mich meine Onkologin des Todes verwundert an und sagte:

"Ich glaube, Sie haben da was falsch verstanden. Die 34 Monate im Diagramm sind lediglich die Laufzeit der Studie gewesen. Da das Medikament recht neu ist, werden seither die Daten aller Patient:innen erhoben, die mit dem Medikament behandelt werden. Hier oben sehen Sie, dass im Median knapp 85% aller Patient:innen mittlerweile schon 36 Monate überleben. Die 15%, die bisher gestorben sind, waren entweder sehr betagt oder hatten schon massive Vorerkrankungen. Aber die, die sonst gesund sind, – und sie gehören zu unseren gesündesten Patienten! – leben. Natürlich kann keiner sagen, wie lange. Aber es sind nach oben hin keine Grenzen gesetzt. Wir könnten hier von Jahrzehnten sprechen. Solange die schlafenden Zellen nicht anfangen zu mutieren, gibt es keinen Grund, warum sie nicht so weiterleben können wie bisher. Die Zahlen sprechen für Leben."

Alles hat sich verändert. Ich habe ein Stück Zukunft zurückbekommen. Jetzt verstehe ich auch, warum sie beim letzten Termin vor zwei Monaten so schelmisch fragte, als es um die gemeinsame Schriftsteller-Freundin ging, die ich seit 25 Jahren kenne: "Wer weiß, wo Sie in 25 Jahren sind." Ich dachte, es sei ein unangebrachter Scherz. Aber nein, sie wollte mir durch die Blume sagen, weil sie mir als Ärztin keine falschen Versprechen machen darf, dass sie daran glaubt, ich könne noch so lange leben.

Jetzt habe ich es womöglich doch gejinxt. Es kommt so, wie es kommt. Aber ich habe nun weniger Angst, dass es gleich morgen passiert. Und kann aufhören, von 1.035 Tagen (34 Monate) runterzuzählen.

Frohe Weihnachten, falls wir uns nicht mehr hören, sehen, sprechen, lesen, schreiben!

Victor Mancini ☃️🎄🍇🍪

Keine Kommentare

Kommentar veröffentlichen

© Vic Mancini on Death Row
Maira Gall