Sonntag, 28. Dezember 2025

2025 – Du darfst enden.

Spiegelung einer Backsteinbrücke und von Gebäudefenstern im teilweise zugefrorenen Flusswasser der Spree; ruhige Winterstimmung, klares Licht.

So, die Weihnachtstage sind nun rum. Ich hatte einen gemütlichen Heiligabend mit meinen Freunden D. und D., die mich lecker bekocht haben: Lachs und Shrimps, selbstgeschnitzte Pommes und selbstgemachten Panettone zum Nachtisch. Das Brettspiel Cascadia, russische Schallplatten aus den Achtzigern und alkoholfreier Sekt rundeten den Abend ab.

Jetzt beginnt für mich die Zeit, die ich am spannendsten finde. Das Jahr läuft aus, wie der Abspann eines Films. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, euch zu danken. Dafür, dass ihr mir das ganze Jahr über treu gefolgt seid.

Für mich war das Jahr rough. Vom absoluten Tiefpunkt bin ich noch vom Dezember in den Januar geschwappt, voller Kortison und Schockgefühlen. Dann begann die Therapie mit der Wunderpille Lorviqua, die mir zwar keine Heilung, aber wenigstens einen unbestimmten Aufschub gewährt. Damit fingen auch die Nebenwirkungen an: leichte Schmerzen hier und da, Nervosität, ein zerschossener Magen-Darm-Trakt, was eine Umstellung der Ernährung nötig machte. Aber hey: immerhin leben ohne Chemotherapie, Bestrahlung und deren Nebenwirkungen.

Dann der emotionale Rollercoaster. Die Depression aufgrund der Zukunftslosigkeit und der Angst vorm Tod. Die Realisation eines neuen Lebens ohne erwerbstätige Arbeit. An deren Stelle trat die intensive Arbeit an meinem Roman. Sie hat mir mehr Kraft gegeben, als sie mir genommen hat, mich seelisch geheilt und mir große Freude bereitet. Wenn er eines Tages in den Regalen der Buchläden zu finden ist, werde ich mich sehr freuen und verdammt stolz auf mich sein. Schon jetzt bin ich zufrieden, so weit gekommen zu sein. Aber noch liegt ein Berg Arbeit vor mir, um den Roman rund zu machen – so gut, dass ich ihn guten Gewissens an Agenturen schicken kann.

Ich musste auch lernen, ohne Familie auszukommen. Nicht, weil meine Familie nicht für mich da sein möchte. Oder weil sie schlechte Menschen wären. Ganz im Gegenteil. Der Hauptgrund ist, dass sie physisch nicht da ist. Und geistig kämpfen sie woanders ihren eigenen Kampf. Mein Vater ist nicht mehr in der Lage. Der Tumor in seinem Hirn hat zu viel Schaden angerichtet, bevor man ihn entfernt hat. Vielleicht ist es auch die altersbedingte Demenz. Das lässt sich mittlerweile nicht mehr sagen. Meine Mutter ist am Ende, weil sie sich rund um die Uhr um ihn kümmern muss. Mein Bruder kämpft selbst einen anderen Kampf in der Familie seiner Frau. Alle sind überfordert. Da bleibt nicht mehr viel Unterstützung für mich übrig.

Ich komme mittlerweile zurecht. Ich habe wunderbare Freunde. Wenn ich ihnen gegenüber zu streng oder ungerecht war, dann nur, weil der Rollercoaster zu viel für mich war. Gerade im August und September waren die Depressionen am schlimmsten. Ich wusste nicht mehr weiter. Doch seit Oktober geht es mir gut, vielleicht auch, weil der Druck nachgelassen hat, das Buch unbedingt vor meinem Tod beenden zu wollen. Natürlich ist es noch nicht fertig, aber es ist auserzählt. In der Not könnte man die Geschichte so lesen. Das hat mich sehr beruhigt.

Dann kam Australien. Melbourne – die Stadt meines Herzens. Meine alten Freunde. Mein Kumpel Damo, seine Familie. That was healing. Die Philippinen, die mich vor allem verstehen ließen, wie sehr ich die deutschen Jahreszeiten mag. Gib mir etwas Herbst. Gib mir den Winter mit all seiner Dunkelheit. Erst wenn ich sie ausgekostet habe, kann ich mich auf den Frühling freuen.

Auch die anderen Reisen in diesem Jahr waren sehr schön: Valencia, Biella, Galicien, Rom, Irland und der Thüringer Wald. Es waren Besuche von Freunden oder Trips mit Freunden. Eine intensive Zeit.

Dann kam der Seelenfrieden. Die Erkenntnis, dass alles okay ist. Alles darf sein. Nichts ist falsch: keine Entscheidung, kein Weg. Die Vergangenheit ist unveränderlich, die Zukunft ungewiss. Die Gegenwart gilt es zu leben.

Dann kam die Aufklärung meiner Onkologin: Die Zeichen stünden auf Leben. Mal sehen, wie weit ich komme. Ob ich die Statistik nach oben treibe oder doch nach unten.

Insgesamt waren es 156 Blogeinträge in einem Jahr.

2025 – Du darfst enden.

Guten Rutsch
Victor Mancini

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© Vic Mancini on Death Row
Maira Gall