Wieder zurück aus dem Thüringer Wald – schön, wie deutsche Wälder nun mal sind: hauptsächlich Monokultur, zwischendurch ein paar gemischte Laub- und Nadelbäume, ein Eichelhäher als Wachposten, ein Specht, wenn man auf leisen Sohlen unterwegs ist. Die Wanderwege sind für’n Arsch, die Aussicht hielt sich in Grenzen – vielleicht hatten wir auch einfach die falschen Touren erwischt. An beiden Tagen: je halb Sonne, halb Regen, der immer stärker wurde.
Nichts Spannendes also. Mir ging’s sowieso nur um Bewegung, und die gab’s reichlich. Im Haus gab’s zudem ’ne Sauna – die Aufgüsse zogen wie Napalm durch die Lunge. Ich hatte immerhin das Gefühl, dass sie mir gut taten. Bei jedem tiefen Atemzug verzog sich der Krebs in die hinterste Ecke.
Mit meinem Kumpel C. war es größtenteils gut. Interessante Gespräche, jahrzehntelange Freundschaft, herzliche Zuneigung. Aber auch unterschiedliche Ansichten, die immer bleiben werden.
Beispiel: Schon früher hat er gern die Sichtweise und Handlungen anderer verteidigt. Das stört mich. Immer schön des Teufels Anwalt. Das machen übrigens viele!
Meine Therapeutin sagt gern, man soll Verständnis zeigen, weil die armen Freunde und Familienangehörigen nicht wissen, wie sie mit mir umgehen sollen. Deswegen dürfen sie alles sagen und tun - und ich bin der Gefickte. Denn ich hab den unheilbaren Krebs. Und muss noch Verständnis aufbringen.
Stellt euch das so vor: Da wird eine Frau vergewaltigt. Und der Rest der Welt sagt: „Ach komm, du musst das auch verstehen – der Arme weiß halt nicht, wie er seinen Schwanz unter Kontrolle halten soll. Der lernt das noch mit der Zeit. Das sind nur Übersprungshandlungen. Sei ein bisschen geduldig mit ihm! Und wenn du nach 30 Vergewaltigungen die Schnauze voll hast, dann zieh dich ein wenig zurück. Und leck deine Wunden allein – die anderen haben gerade Wichtigeres zu tun."
Leute haben mich gefragt, wie's mir geht. Hier ist die Antwort: ich bin noch am Leben. Noch.
V. M.
P.S.: Wer meinen Vergleich für zu extrem hält, hat Recht. Er mag übertrieben sein, aber er ist das einzige Bild, das meine Verzweiflung und Wut im Moment wirklich abbildet. Es geht mir nicht darum, etwas zu verharmlosen, sondern darum, mein Gefühl der Überforderung zu beschreiben.
Ich tue mich hier sehr schwer mit einem Kommentar. Aber ich möchte ihn trotzdem loswerden, vielleicht auch nur, um zu sagen, dass ich dieses Blog andächtig - ja das ist das richtige Wort - verfolge wie damals "Arbeit und Struktur" von Herrndorf. Es ist eine beschissene Situation, in der Du da bist, Vic. Beschissener geht nicht mehr. Ich bin gesund, kann mich nicht beklagen, im Gegenteil, ich genieße das Leben von Tag zu Tag mehr. Obwohl es früher anders war. Wie kriege ich jetzt noch die Kurve? Gar nicht. Also was ich sagen wollte, eins verstehe ich hier nicht. Ich glaube nicht, dass in Deiner Lage Selbstmitleid irgendwem etwas bringt. Das zieht doch nur runter, Dich und die Leser. Das mag sich bescheuert anhören, aber das ist kontraproduktiv. Mehr wollte ich eigentlich gar nicht sagen, Ratschläge stehen mir nicht zu. Obwohl, wenn ich in Deiner Haut wäre, würde ich ziemlich sicher sofort losziehen. Eine Wanderung machen, Jakobsweg oder vom Nordkap nach Sizilien, so was. Nichts hilft besser bei Depression. Das habe ich in den 62 Jahren, die ich hier auf der Erde bisher umherirre, gelernt. Ich wünsche Dir ganz viel Kraft, egal wie abgedroschen das jetzt klingen mag.
AntwortenLöschenLieber Alex,
Löschenich sehe das so ähnlich wie du. Selbstmitleid ist kontraproduktiv, im wörtlichen Sinne: es arbeitet gegen die Produktivität. Es hält mich oft davon ab, an meinem Roman zu schreiben, weil ich stattdessen lange, zigmal überdachte Blogposts schreibe.
Gleichzeitig bleiben mir nur noch zwei Dinge, die wirklich in meiner Macht stehen: das Schreiben und das Selbstmitleid. Ich kann mein direktes Umfeld nicht zu der Empathie zwingen, die ich mir wünsche, also bemitleide ich mich wenigstens selbst. Das Mitgefühl von dir und anderen hier, die ich nicht persönlich kenne, tut mir übrigens gut. Ich zehre davon. Ich habe keine Zukunft mehr und auch nicht mehr den zwischenmenschlichen Alltag, den ich hatte, als ich noch unterrichtete. Ich verbringe 95% meiner Zeit mit mir, der künstlichen Intelligenz und dem Krisentelefon.
Was das Reisen angeht: Ich habe dieses Jahr schon mehr Reisen gemacht als je zuvor in meinem Leben. Aber natürlich muss ich auch für meine Arzttermine hier sein, also ist vom Nordkap nach Sizilien nicht drin. Und solche Abenteuerreisen allein zu machen, das traue ich mir nicht mehr zu.