The Tenenbaums at their best
Man kann sich seine Familie ja bekanntlich nicht aussuchen. Will ich auch gar nicht. Ich mag meine Pappnasen so, wie sie sind. Also wenn's nach dem geht, was in einem das Blut pumpt - bei mir bald nicht mehr. Das pumpt in meiner Familie heftig und das Blut kocht dann gerne mal über.
Leider sind sie in manchen Dingen einfach nicht besonders clever - allesamt. Und das macht es anstrengend. Meine Mutter - eine Zicke sondergleichen, ordentlich am Austeilen und verdammt schlecht im Einstecken. Ich übrigens auch. Ich möchte aber nicht so weit gehen zu behaupten, dass ich es von ihr habe. Genug Küchenpsychologie, die gleich folgen wird.
Mein Vater - da geht, wie bereits des Öfteren erwähnt, nicht mehr viel. Es ist eine Art gemeinsames Warten auf sein Ende, was mich schon wieder zum Weinen bringt. Andauernd. Aber die Situation macht es auch für alle Beteiligten ungemein schwer. Allen voran meine Mutter, die twentyfour/seven mit ihm zusammen ist und kaum noch zur Ruhe kommt. Die Arme kann nicht mehr wirklich schlafen, weil er mitten in der Nacht aufsteht, sich anzieht, im Dunkeln in die Küche setzt und wartend vor sich hin starrt. Wenn meine Mutter ihn dann dort findet und fragt, warum er da sitzt, antwortet er, man würde ihn doch gleich abholen. Sie führt ihn zurück ins Bett. Sobald er liegt, weiß er schon nicht mehr, wo er wenige Minuten zuvor war. Er schläft sofort ein und sie bleibt noch stundenlang wach.
Mein Bruder - Ich liebe meinen Bruder, doch er ist ein anstrengender Zeitgenosse. Er ist nicht besonders gut von unseren Eltern behandelt worden, besonders, nachdem ich ins Spiel kam. Ohne dass sie es wollten, aber dennoch! Wie so oft mit Zweitgeborenen bekommen die Erstgeborenen nicht mehr die Aufmerksamkeit, die sie einmal bekamen. Das führte bei ihm zu zwei sehr negativen Eigenschaften.
Erstens: er erwartet von jedem ständig Dankbarkeit. Er ist einer dieser Typen, die dir ungefragt ein Glas Wasser hinstellen und sich dann beschweren, wenn du dich nicht bedankst – selbst wenn du’s nicht mal mitbekommen hast. Er erwartet auch von seinen Kindern Dank für alles, was er für sie getan hat, auch wenn sie nie darum gebeten haben, von ihnen in die Welt gesetzt zu werden.
Zweitens: er leidet unter nervigen Eifersüchteleien, die aus einem nicht besonders ausgeprägten Selbstbewusstsein resultieren. Gepaart mit erstens wird es zu einer explosiven Mischung, für die ich momentan einfach keine Kraft habe. Das mit Dad ist schon schlimm genug. Und dass ich jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde mit meiner Krankheit zu kämpfen habe, reicht mir eigentlich auch schon. Aber seine Eifersüchteleien? Dafür habe ich einfach keine Kraft mehr.
Wie ich schon angekündigt hatte, möchte ich in jedem Fall in Berlin beerdigt werden, wenn möglich auf dem Friedhof hinterm Haus oder bei einer Waldbestattung im FriedWald, Pankow. Mein Bruder ist der Meinung, ich könne das meiner Mutter nicht antun – und wird dann sauer, wenn ich mich darüber aufrege. ICH bin der Arsch, weil ICH für mich entscheide, WO ICH BEERDIGT WERDEN MÖCHTE. Und dann benutzt er auch noch meine Mutter als Begründung.
Victor Mancini auf Friedhofsbesichtigung an der Heerstraße
Das ist meine Familie. Denn meine Mutter würde tatsächlich so denken, wenn sie davon wüsste. Obwohl beide wissen, dass ich den Ort meiner Herkunft über alles HASSE, würden sie mich dennoch gegen meinen Willen dort begraben. Als ob es darum ginge, dass meine Mutter jede Woche brav Blümchen auf mein Grab legt. Ich scheiß auf die Blumen. Ich möchte nicht dort liegen. Dort ist selbst die Erde vergiftet. Literally. Von der Hessischen Industriemüllverbrennungsanlage (ultralanges Wort!).
Meine mamma wird an mich denken, egal wo ich liege. Und das wird in Berlin sein.
Und dann regt er sich auch noch darüber auf, dass ich in meiner Patientenverfügung oder Vollmacht, oder wie auch immer der Scheiß heißt, meiner besten Freundin die Macht gebe, über mein geistiges Eigentum zu entscheiden. Gäbe ich sie ihm, was würde dann aus meiner Literatur und Musik werden? Er, der von Literatur so viel versteht wie Til Schweiger von Filmen oder Dieter Bohlen von Musik. Y. liest zwar auch nicht das, was ich gute Bücher nennen würde, aber immerhin war sie mal Buchhändlerin und versteht mich so gut, dass sie weiß, was mir wirklich was bedeutet. Sie weiß, was ich als gut empfinde und was für mich Schund ist. Also wird sie nicht zulassen, dass man aus Unwissenheit oder Faulheit Schabernack mit meinem Werk betreibt.
Nein, jetzt muss ich alles ändern: mein Testament und meine Patientenverfügung. Ihr seid meine Zeug:innen – ihr sorgt dafür, dass mein Werk nicht auf Ramschtischen verstaubt, sondern da liegt, wo es hingehört.
1. Ich möchte in Berlin begraben werden
2. Ich möchte niemals auf dem Ramschtisch bei Thalia landen, neben solchem Schund von Sebastian Fitzek oder Charlotte Link, Monika Peetz oder Frank Schätzing. Oder so.
Ihr sorgt dafür, dass ich nach meinem Ableben, neben Fatma Aydemir und Karen Köhler, neben Ralf Rothmann und Wolfgang Herrndorf liegen darf. Ja?
Ihr sorgt dafür, dass Die Atombomben sind am Verstauben in einem Atemzug genannt werden mit Die Nerven. Und Raskolnikow & Sonja mit Other Lives oder The National. Ja?
Ich verlasse mich auf euch!
Euer ständig weinender und immer verzweifelnder
Victor Tenenbaum
P.S. Seitdem die Ärztin mir gesagt hat, wo der Tumor in meinem linken Lungenflügel sitzt, spüre ich ihn immer, sobald ich Stress habe. Heute hat er in mir rumgetreten wie ein wildes Kind. FUCK, FUCK, FUCK!