Kommentarlos
Mir geht’s nicht so gut, wie ich gerne tue. Ich würde gerne anderes verkünden. Aber wenn ich im Blog nicht ehrlich sein kann – wo dann?
Gleich kommt mein Bassist, um aufzunehmen. Da muss ich wieder performen. Und damit meine ich nicht das Aufnehmen an sich, sondern wie es mir tatsächlich geht. Dieses Verheimlichen ist anstrengend, zusätzlich belastend. Aber für manche ist der Anblick meiner misslichen Lage zu viel, und deshalb trage ich diese Extra-Last selbst. Da geht kein Weg dran vorbei.
Selbst wenn sie anderes behaupten – ich glaube ihnen nicht.
Ich kann sehr gut nachvollziehen, wie belastend es für euch sein muss, die ihr mit mir zu tun habt. Direkt oder indirekt. Wenn ich in eurer Haut stecken würde, wäre ich wahrscheinlich längst geflüchtet. Würde mich ghosten. Oder den Kontakt auf ein Minimum runterschrauben. Hält ja keine Sau aus.
Das Aufnehmen macht mir natürlich Spaß. Ich freue mich auf das Ergebnis – falls die Songs je zu einem Ende finden. In diesem Tempo wird das nichts vor 2027. Und ob ich bis dahin durchhalte, wage ich weiterhin zu bezweifeln. Nicht, weil der Tumor sich gemeldet hätte, sondern wegen der unzähligen Nebenwirkungen, die mich zermürben.
Überall zwackt’s und drückt’s. Leichte Schmerzen von den Fußsohlen bis zu den Schultern. Muskelreißen, empfindlicher Magen, Krampfadern, offene Wunden in der Nase, die nicht mehr heilen. In meinem Mund: die Schaltzentrale der BVG. Und meine Beine: gefüllt wie einst der dicke Hermann im Prenzlauer Berg.
Das Schlimmste sind die Zähne. Ihr könnt euch kein Bild davon machen, wie sich das anfühlt.
Ich will nicht den Rest meiner Tage auf Lorazepam verbringen – wenn’s nicht sein muss. Ist highly addictive. Aber selbst das reicht nicht aus. Daher teste ich gerade: CBD-Tropfen und Entspannungsübungen vorm Einschlafen.
Aber ehrlich – das Medikament ist so potent, dass es den Krebs im Zaum hält. Da wird ein bisschen Hanf und Relaxation wohl kaum mithalten können. Ich nehme an, demnächst kommt die doppelte Xanax-Keule. Oder Prozac. Oder Valium. Was weiß ich schon.
Um nicht auszurasten oder kaputtzugehen – I'm on a tight rope! – muss ich mich schützen.
Eine Sache, die nicht mehr geht: die Kommentare hier.
Mittlerweile wurden mir zu viele komische Dinge gesagt, die ich ohne neue Metastasenbildung nicht mehr ertrage. Also musste ich die Funktion abschalten.
Eigentlich schade.
Ich mochte die Möglichkeit, dass ihr mir Fragen stellen konntet oder mir Vorschläge zu Literatur, Musik und anderen Künsten gemacht habt. Die haben mir bisher ziemlich gut gefallen.
Leider sehen manche Leute solche Blogs – selbst wenn’s um meine Krankheit geht – als Bühne, ihren Senf dazuzugeben. Ich dachte immer, für sowas gäbe es Twitter.
Gut, genug des Jammerns für einen Tag. Wenn ihr in Kontakt mit mir treten wollt, müsst ihr das von nun an auf anderem Wege tun. Ich weiß, dass viele diese Möglichkeiten schon gefunden und genutzt haben. So schwer ist das nicht.
Eine erfreuliche Ankündigung zum Schluss. Ich werde euch, wenn möglich schon morgen, mal wieder ein paar schöne Dinge zu eben dieser mir doch so wichtigen Literatur und Musik erzählen. Aber für heute fehlt mir die Zeit und Kraft. Jetzt geht's ans Aufnehmen.
Euer
Rictor Rubin