Ein neuer Kommentar von gestern besagt, dass mein Selbstmitleid zu kontraproduktiv sei. Das sei weder gut für mich noch für die Lesenden hier. Also schreibe ich heute über was Gutes.
Ursprünglich war’s die Idee meiner Therapeutin, zu diesen Treffen Gleichgesinnter zu gehen. Heute bin ich glücklich und traurig zugleich. Denn sie hatte mir schon vor fünf Jahren, als ich noch keinen Krebs, aber schon Depressionen hatte, immer wieder dazu geraten, zu diesen Meetups zu gehen, um neue Leute kennenzulernen. Ich hatte diese App innerlich abgelehnt. Vielleicht, weil sie zu amerikanisch war. Da bin ich schnell skeptisch, weil ich dahinter grundsätzlich keinen Inhalt, sondern nur Kommerz vermute. Vielleicht habe ich sie auch einfach nicht ernst genommen, weil ich dachte, sie sei eher was für Business: Entrepreneurs, Marketingleute, Jobsuchende.
Wie falsch ich doch lag. Natürlich ist sie das auch, aber eben nicht nur. Gerade die Schreibtreff-Reihe „Shut Up & Write“ wurde 2007 von einem US-Amerikaner erfunden. Die Treffen an unterschiedlichen Orten in Berlin sind stets kostenlos, die Veranstalter machen es eahrenamtlich. Es ist also eine durch und durch gemeinnützige Gruppe, mit dem Ziel, Schreibende zu unterstützen bzw. Orte zu schaffen, an denen sie sich treffen, gemeinsam arbeiten und davor, dazwischen und danach austauschen können. Geniales Konzept, weil so simpel.
Wäre ich damals schon zu solchen Meetups gegangen, wäre ich heute vielleicht nicht krank. Aber so zu denken, ist immer schlecht. Hätte, hätte… Es ist so, wie es ist. Ich kann die Krankheit mit dem Konjunktiv auch nicht rückgängig machen. Sie ist da, sie wird mich mehr früher als später dahinraffen. Bis dahin gilt: das Leben auszukosten. So weit auszunutzen, wie es geht.
Dazu gehören unter anderem diese Meetups. Gestern und heute war ich in Neukölln, zusammengerechnet habe ich drei Seiten am Roman geschrieben. Ich bin sehr zufrieden mit mir und dem Ergebnis.
Was die Leute angeht, so sind die meisten in Neukölln tendenziell langweilig, unsympathisch oder nervig. Aber eine nette oder spannende Person ist eigentlich immer dabei. Und mit der unterhalte ich mich dann für 15 Minuten, meist über das Schreiben, aber auch über Kultur und Politik. Heute war es ein bekiffter italienischer Dichter aus dem Veneto und ein eigenartiger Mann aus Oldenburg. Das Gespräch drehte sich um die Unterschiede zwischen Erinnerungen und Fiktion.
Gestern war es eine sympathische Frau aus der australischen Provinz bei Perth, die Newsletter verfasst, um die Distanz zu ihrer Familie und Freunden zu überbrücken – da sie sich ziemlich sicher ist, nie wieder zurückzugehen, außer zu Besuch. Ich empfand diese Newsletter als eine schöne und originelle Idee. Sie sagte, sie möge kein Social Media. Deswegen habe sie sich für Newsletter entschieden. Das war mir sympathisch.
Diese Begegnungen sind interessant und „leicht“ zugleich. Ich versuche, viel zu unternehmen, um diese Momente der Normalität zu finden, auch wenn sie nur flüchtig sind. Es ist eine enorme Last, in der Masse eine Verbindung zu suchen, nur um danach in die Einsamkeit zurückzukehren.
Meine Strategie ist unbewusst: in diesen Begegnungen einen Zufluchtsort zu finden. Bei Fremden gibt es keine gemeinsame Vergangenheit und keine Erwartungen. Die Gespräche sind leicht, weil sie sich auf die Welt außerhalb meiner Krankheit konzentrieren – auf das Schreiben, auf Kultur, auf Ideen. Ich bin einfach nur ich, ohne die Last der Erwartungen.
Euer
Victor Mancini

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