Gestern sah ich E. wieder. Zum ersten Mal nach acht Jahren. Wir begegneten uns zufällig auf dem Friedhof hinterm Haus. Wenn man an Zufälle glaubt. Andere nennen es Schicksal, manche göttliche Fügung. Ich glaube an nichts. Ich weiß nur: Acht Jahre sind eine verdammt lange Zeit, wenn man davor zusammengelebt hat und der Kontakt von jetzt auf gleich komplett abbricht.
Nicht mehr sehen, nicht mehr hören, nicht mal wissen, ob sie noch lebt – das war nicht gut für mich. Hat meine Therapeutin schon damals gesagt: "Sie brauchen ein Ende, Sie müssen dieses Kapitel ad acta legen. Wollen Sie nicht doch wenigstens mal eine Email schreiben?"Und als sie dann endlich vor mir stand, so plötzlich, wie aus der Wolke des Magiers – der Rauch noch nicht ganz verflogen – war ich überfordert. Nicht sprachlos, sondern redselig; ich plapperte, als fürchtete ich, sie könnte sich genauso schnell wieder in Luft auflösen. Wir drehten ein paar Runden auf unserem gemeinsamen Friedhof von einst und sprachen hauptsächlich über Literatur, bewegten uns auf sicherem Terrain – man soll die Geister ja nicht sofort wecken. Dann musste ich plötzlich weg vom Ort des Todes. Grundsätzlich liebe ich Friedhöfe; sie sind mir in jeder Stadt ein willkommener Ort der Stille. Seit der Diagnose darf ich mich dort allerdings nicht mehr so lange aufhalten, sonst stürze ich in noch düstere Gedanken als die, denen ich ohnehin täglich nachhänge.
Entschuldigt meine komplizierte Sprache. Ich bin verwirrt und doch glücklich. Es ist, als wäre ein Fluch von mir gewichen. Ich wünschte, ich hätte ihr angeboten, den Spaziergang im Park fortzusetzen. Stattdessen ging ich allein weiter, versuchte vergeblich, die Neuronen zu beruhigen, die wie aufgeregte Schulkinder durcheinanderschossen.
Mir gelang es nicht. Zuhause nahm ich CBD-Tropfen. Damit schaffte ich es.
V.M.
Keine Kommentare
Kommentar veröffentlichen