Am Donnerstag war ich beim Internationalen Literaturfestival in den Berliner Festspielen. Ich sah Mieko Kawakami, eine meiner japanischen Lieblinge, gleich zweimal. Ihre Bücher sind hervorragend: Brüste & Eier, Heaven, All die Liebenden der Nacht. Am Vormittag las sie bei der Deutschlandpremiere vor Schulkindern. Im neuen Roman Das gelbe Haus geht es um eine Teenagerin, die auf die kriminelle Bahn gerät. Ich hörte sie reden, sah sie gestikulieren.
Der Saal war fast leer: vorne zwei Reihen mit einer Schulklasse, dahinter vereinzelt Erwachsene, am Rand ein paar Mütter mit Babys in der Manduca, die den ganzen Auftritt über plärrten. Nervig, aber sie nahmen auch ein Stück der Schwere aus der Situation.Eine Schülerin, die einen Lyrikwettbewerb gewonnen hatte, las ihr Siegesgedicht vor: "Der Abfalleimer". Gefiel mir echt gut. Hier der Text:
So unscheinbar versteckt er sich in der hintersten Ecke meines Zimmers
Seit Monaten nicht geleert
Immer mehr Papier
Doch irgendwann geht es nicht mehr
Raus in den Hinterhof
Dort kommen die Geheimnisse ans Licht
Alte Zeichnungen landen in der blauen Tonne
Aufwändige Projekte und zerrissene Briefe
Schon fast verdrängt und vergessen
Jedes Mal eine kleine Zeitreise
Die Atmosphäre war locker, völlig zwanglos. Ich fühlte mich wohl – wären da nicht die dämlichen Fragen der Moderatorin gewesen. Zu lang, zu anstrengend für die Dolmetscherin; bei der Autorin kam kaum noch etwas an. Sie verfiel zunehmend in generische Antworten, sichtlich peinlich berührt. Ein Vorgeschmack auf den Abend. Denn als wahrer Fan geht man zu beiden Veranstaltungen.
Am Abend fuhr ich wieder hin, zur offiziellen Premiere. Diesmal für die Erwachsenen. Der Saal bis unters Dach gefüllt mit Fans und FOMOs. Anderthalb Stunden lang war ich umzingelt von Menschen. Mein Gott – wie schlimm ich das fand. Niemand tat etwas wirklich Falsches, und doch fühlte ich mich unwohl unter den gelackten Pseudo-Intellektuellen unseres selbstgefälligen, widerlichen Literaturbetriebs. Die Fragen noch schlimmer als am Morgen, die Antworten noch ausschweifender – bloß um nicht zu zeigen, dass sie nichts verstand. Die Arme muss sich gefragt haben, warum man sie so unnötig quälte.
Ich war froh, mir am Morgen ein Buch gekauft zu haben, das sie mir signierte. Am Abend konnte ich einfach gehen. Auf dem Heimweg dachte ich daran, wie viele solcher Veranstaltungen ich damals mit E. besucht hatte. Nie fühlte ich mich unwohl – man stärkte sich gegenseitig gegen diese Deppen. Nur ins Theater allein gehen fand ich noch beschissener. Da bin ich sogar nach der Hälfte raus.
Euer Literaturliebhaber
Victor Mancini
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