Vor vielen Jahren, lange vor meiner Erkrankung, hatte ich ein Erstgespräch mit einer Psychoanalytikerin. Der Anfang des Gesprächs lief ungefähr folgendermaßen ab:
Sie: Was führt Sie zu mir?
Ich: Der Puff da draußen.
Sie: Ich verstehe Sie nicht. Was meinen Sie?
Ich: Deutschland. Das Gefühl von Ungerechtigkeit. Von tiefer Einsamkeit.
Sie: Wissen Sie, die moderne Psychologie geht nicht mehr davon aus, Menschen zu „heilen“. Vielmehr versuchen wir Psychologen zu helfen, den Puff da draußen, wie Sie sagen, erträglicher zu machen. Er wird immer ein Puff bleiben. Aber vielleicht ist er mithilfe einer Therapie nicht mehr ganz so schlimm.
Das hat mich beeindruckt, ist mir in Erinnerung geblieben. Es ist so ähnlich wie mit der Palliativmedizin. Meine Onkologin sagt auch immer wieder, dass es darum ginge, das verbliebene Leben so lange und angenehm wie möglich zu gestalten, nicht, sich falschen Hoffnungen der Heilung hinzugeben.
Sie trägt ihren Teil dazu bei, indem sie mich einmal im Monat sieht, mir lebenswichtige Medikamente verschreibt und vierteljährlich Scans veranlasst, die sie im Anschluss auswertet und mit mir bespricht. Sie weiß auch, dass die psychische Belastung hoch ist, und schlug mir bereits zu Anfang vor, psychotherapeutische Betreuung zu konsultieren. Das tue ich – thank fuck, sonst wäre ich wahrscheinlich schon eingegangen. Diese knappe Stunde pro Woche hilft mir sehr. Nicht, weil sie mich „heilen“ kann. Sie versucht es erst gar nicht. Sie hört mir da zu, wo meine Freunde schon längst abgeschaltet haben. Ich verstehe, dass es ein Abwehrmechanismus ist. Ich verstehe, dass diese Freunde sich schützen müssen. Mit dem wandelnden Tod abzuhängen ist nicht gerade erbaulich.
Deswegen ziehe ich mich zurück. Deswegen suche ich mir neue Leute. Diese sollten eine der zwei folgenden Kriterien erfüllen:
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Idealerweise sterben sie selbst. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Da geht man sich gegenseitig nicht so auf die Nerven mit den Todesgedanken, die einen kontinuierlich beschäftigen.
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Sie haben keine Ahnung, dass ich krank bin. Ich erwähne den Krebs nicht und sie wundern sich nicht über meine traurige Fresse. Denken, ich sei so – ganz normal.
Befreiend! Fast so gut, als gäbe es den Puff da draußen gar nicht.
Manc.
Hier ist einer der Katergorie 1: Ich bin ebenfalls unheilbar an Krebs erkrankt und »sterbe selbst«. Kontinuierliche Todesgedanken: Check.
AntwortenLöschenIch wünschte, ich könnte all die damit in Verbindung stehenden Dinge so gut in Worte fassen wie Du. Bei allen hilfreichen Gesten, mit denen unsere Mitmenschen uns dankenswerterweise Mut machen, scheint es mir dennoch unmöglich, unseren Zustand mit Menschen zu teilen, die nicht unheilbar krank sind. Schon allein, weil man es im Grunde auch niemandem wünscht, daran Anteil zu haben.
Deine offenen und unverfälschten Beiträge hier erreichen mich jedenfalls auf einer Ebene, auf der ich mich bislang nicht erreicht fühlte. Danke, dass Du Dir die Zeit nimmst, all das aufzuschreiben.
»Mit dem wandelnden Tod abzuhängen ist nicht gerade erbaulich.« Treffend gesagt.
Das lässt sich freilich mit Parolen angehen, wie beispielsweise im hier und jetzt leben zu wollen und vieles mehr, was zweifellos ein guter Ansatz ist. Es sagt sich allerdings leicht, wenn einem der Tod noch nicht zuwinkt.
Wesentlich ist in der Tat, »das verbliebene Leben so lange und angenehm wie möglich zu gestalten, nicht, sich falschen Hoffnungen der Heilung hinzugeben«. Und scheiß auf den »Puff da draußen«.