Donnerstag, 14. August 2025

Abwärtsspirale

Betonbrücke mit massiven Pfeilern und geschwungener Architektur. Unter der Brücke erstreckt sich eine karge, braune Wiese. An einem der Pfeiler steht in schwarzer Schrift das italienische Graffiti 'CHE CAZZO RIDI?' (Was zum Teufel lachst du?). Im Hintergrund sind weitere Brückenelemente und warmes Abendlicht zu sehen.

Ich sitze in der Küche, höre ein altes Album von The Church, einer australischen Band, und versinke im Selbstmitleid. Ich komme aus dem Loch nicht mehr raus. Gestern war ich im Schwimmbad. Das war die Hölle. Nicht das Schwimmen an sich – das ging einigermaßen. Auch wenn meine Lunge diese angestrengte Atmung nicht mag. Um ruhig und gleichmäßig zu atmen, braucht es viel Übung bzw. regelmäßiges Schwimmen. Und weniger Menschen auf der Bahn. Beides war nicht der Fall.

Aber wie gesagt, das war's nicht. Die Hölle sind bekanntlich die Anderen: die Frau an der Kasse – typisch Berlin, unfreundlich schiss sie mich an, als ich ihr meinen Schwerbehindertenausweis hinhielt. "Damit kann ich nix anfangen, 7€." Als ich ihr dann meinen Bürgeld-Bescheid elektronisch auf meinem Handy zeigen wollte, schnauzte sie mich an, ich müsse den ausdrucken, so wie es die Vorschrift sagt – das ist die Berliner Version von einem Ausweis: man kopiert sich den Bescheid, muss die Kopie ständig mit sich rumtragen. Am Ende hat sie mein Handy angewidert angeschaut und akzeptiert, aber nicht, weil sie einverstanden war, sondern nur, weil die Schlange bis auf die Straße reichte.

Das bringt uns zum nächsten Punkt: das Schwimmbad war, wie zu erwarten, brechend voll. So voll, dass es auf der Wiese kaum Platz gab. Ich wollte nicht bei den Familien mit Kindern sitzen. Also setzte ich mich zu den jüngeren Leuten. Die taten nichts Falsches. Sie unterhielten sich einfach. Aber alle wirkten so gesund, in Gruppen oder in Paaren. Nur wenige waren allein. Und die schienen auf jemanden zu warten, telefonierten oder waren zufrieden damit, allein zu sein. Ich nicht. Für mich wurde es von Minute zu Minute unerträglicher. Ich ging. Insgesamt war ich 37 Minuten da: 23 im Pool und 14 auf der Wiese.

Auf dem Weg nach Hause weinte ich. Nicht so leicht, dabei Fahrrad zu fahren. Aber ich kam heil zu Hause an. Leider!

Ich habe eines realisiert: Dass ich mir die ganze Zeit etwas vormache. Dass es mir nicht okay geht, wie ich seit Monaten behaupte. Dass ich mir das nur einrede. Und zwar, weil es ein Catch-22 ist. Ich glaube, dass ich den Krebs bekommen habe, weil ich an der Volkskrankheit Nummer 1 leide: EINSAMKEIT. Die Einsamkeit hat mir den Motherfucker in den Körper gejagt. Die Einsamkeit hat mich schon immer depressiv gemacht. Seit Jahren geht es immer weiter bergab. Irgendwann verstand ich, dass ich den Rest meines Lebens mit mir allein verbringen werde. Physisch, aber auch geistig. Irgendwann habe ich eingesehen, dass es keine Lösung für meine Einsamkeit gibt. Die sitzt tiefer, als dass man sie beseitigen könnte.

I'm doomed to die alone. Und deswegen holt sich der Krebs, was ihm gehört. Ich versuche seit 240 Tagen dagegen anzukämpfen, aber es ist lächerlich. Denn ich bin allein. Meine Familie ist ein Arschloch. Sie haben mich völlig aufgegeben. Und meine Freunde, ach meine Freunde - die sind auch alle weg. Beschäftigt mit wer weiß was. Oder im Urlaub. Oder beim Pferderennen. Lasst mich einfach in Ruhe. Fuck you! Fuck you! Fuck you!

Gestern schreibt mir eine Freundin sogar, dass meine Gedanken hinderlich seien. 'Uns bleibt allen nur, von Moment zu Moment zu leben. Alles andere ist ungewiss.' Also wie dumm kann man sein? Ich poste hier einen Auszug meiner Morning Pages, ungefiltert, was ich in dem Moment gefühlt und gedacht habe, und sie kommt mit solchen altklugen Sprüchen daher. Ich hasse Gemeinplätze. Lasst mich damit alle in Ruhe.

Ich brauche euch nicht. Zum Sterben brauche ich nur den Krebs. Oder mein Fahrrad und mich.

Ich bin erstmal raus.

V.

1 Kommentar

  1. "Gestern schreibt mir eine Freundin sogar, dass meine Gedanken hinderlich seien." Bei der Aussage weiß ich wirklich nicht mehr, was ich da noch sagen soll – außer: ob das wirklich eine Freundin ist? Aber ja – diese "Klugsch..." kenne ich auch nur zu gut. Wenn man selbst nicht betroffen ist von einer Krankheit, kann man immer gut und klug daherreden. In deinen Zeilen spüre ich in jeder meiner Faser deine tiefe Einsamkeit und ich spüre sie, weil ich selbst auch davon betroffen bin. Niemand, der nicht selbst durch diese Hölle geht, kann nur im Geringsten nachvollziehen, wie es uns Erkrankten geht. Ich jedenfalls kann jede deiner Zeilen nachfühlen und weiß, was du gerade durchmachst – auch wenn ich selbst keinen Krebs habe. Aber ich leide an verschiedenen psychischen Erkrankungen und weiß, wovon du schreibst. Auch wenn du physisch gerade sehr einsam bist, viele Menschen, die deine Zeilen lesen, werden sich mit dir verbunden fühlen – so, wie ich es gerade tue.

    Liebe Grüße nach Berlin
    Patrick

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