Montag, 30. Juni 2025

LITERATUR ist mir geblieben IX: Gefühlsmenagerie

Victor Mancini am Bebelplatz. Aus der Entfernung hält er die Broschüre vom Bücherfest vor die Zeltwände der Verlagsstände. Im Hintergrund eine dunkle Wolkendecke über der Kuppel der Hedwigskathedrale.

Im Schnelldurchlauf ein Update aus dem Hause Mancini: 

Zuerst mal danke an all die Leute, die mir in letzter Zeit so viele sympathische Kommentare hinterlassen haben. Es ist schön zu wissen, dass meine Worte euch helfen – beim Umgang mit eurer eigenen Krebs-geschichte oder der in eurer Familie.

Ich hatte eine volle Woche – schön, aber zu viel. Und das tut mir nicht gut. Ich brauche einfach wieder mehr Ruhe. Mir ist aufgefallen, dass mir zwei Dinge nicht guttun: in Restaurants essen und Alkohol trinken. Nicht, weil es mich stresst. Ich esse gern außer Haus, treffe dabei Freunde, trinke ein Bier. Aber das Essen ist intensiver zubereitet – mehr Fett, Öl, Mayo, Gewürze, Geschmacksverstärker, Salz. Dinge, die meinem Körper nicht guttun.

Hinzu kommt, dass das Krebsmedikament – im Kampf gegen das Karzinom und seine Gang aus Metastasen – die Einnahme von Gluten erschwert. Gluten, aber auch anderes schwer Verträgliches – einmal gegessen, und schon ist der Medizinball wieder da, wo eigentlich mein Bauch ist. Ein Zwiespalt: Ich will mich gern mit Freunden treffen, aber das gemeinsame Essen wird mir zum Verhängnis. Ich will mich auch nicht immer einladen lassen, bekocht werden – das ist zu viel. Außerdem ist gerade Sommer, den will ich genießen wie ihr. Womöglich mein letzter – diesen Gedanken werde ich nicht los, auch wenn zurzeit alles ganz gut läuft. Und so malträtieren mich die Gedanken.

Es fing am letzten Montag an, nachdem ich meine Eltern verließ. Statt direkt nach Berlin zu fahren, besuchte ich meine Freunde K. und R. in Frankfurt. Wir gingen zuerst thailändisch essen (da ist es wieder – das verdammte Essen!) und schauten uns danach das Konzert von Brian Jonestown Massacre in der „neuen“ Batschkapp an. Mäßige Vorstellung, muss ich gestehen. Langweilige Performance, kaum Licht, und die Songs wurden von 12-saitigen Schrammelgitarren dominiert. Lediglich der Sänger klang immer noch so gut wie damals.

Letztlich war es egal. Es ging um den Abend mit meinen Freunden. Wie lange hatten wir uns nicht mehr gesehen? Wann würden wir uns wiedersehen? Diese Fragen beschäftigen mich ständig – seit dem RESET.

Vom Termin am Mittwoch bei der Onkologin des Todes hatte ich euch schon erzählt. Es ging eigentlich um mein Knie. Das schmerzt. Man dachte, es hätte mit den Medikamenten zu tun. Um Arthrose auszuschließen, gab es ein Röntgenbild. Diagnose: Weichteilerguss suprapatellär. Was auch immer das ist. Aber keine Arthrose. Die Ärztin vermutet, dass es an den Schuhen liegt. Ich gebe ihr recht. Aber was für eine Panik wegen falscher Schuhe. Wenn man einmal die Woche läuft, ist das egal. Geht man jeden zweiten Tag, beschweren sich Gelenke und Sehnen über falsches Equipment. Zu Recht. Für mich ist das immer gleich mit Panik verbunden – was, wenn ich noch Arthrose bekomme und nichts dagegen tun kann, weil das Krebsmedikament gesetzt ist? Bisher komme ich mit einem blauen Auge davon.

Freitagmorgen: Co-Writing über Zoom. Man sitzt sich am Bildschirm gegenüber. Wildfremde Menschen. Für mich. Die meisten anderen kennen sich schon. Man stellt sich kurz vor, sagt, woran man arbeitet. Die Moderatorin C. sagt LOS – und wir schreiben. Ich arbeite an meinem Roman weiter. Zoom-Screen aus, eigener Ton auf lautlos. Komisches Gefühl, aber ich bin voll motiviert, weil ich weiß, dass andere auch im virtuellen Raum arbeiten. Ich fange an, komme rein, schreibe immer besser, bin voll in meinem Element. Plötzlich ruft's STOPP! Ich mach mir fast in die Hose – krasses Ding. Der Bildschirm von C ist an – sie strahlt. Erst jetzt raffe ich, was los ist. Ich hatte völlig vergessen: Zeit, Co-Writers. Kurzer Check, ob alles gut läuft, ob wir vorankommen – manche arbeiten an Blogs, eine an ihrer Webseite. Okay, dann LOS. Eine weitere Stunde, noch besser als die zuvor. Coole Idee. So simpel und doch so effizient. Freue mich schon aufs nächste Mal.

Danach zur Therapie – wunderbare Sitzung. Wichtiges besprochen. Gleich im Anschluss weiter zum nächsten Treffen: ein Spaziergang mit J., einer befreundeten Autorin und der Lektorin meines Romans. Wir unterhielten uns über Künstliche Intelligenz, unsere Arbeit und eine gemeinsame Lesung unserer Kurzgeschichten. Fazit: zu wenig Zeit für konstruktives Arbeiten.

Samstag: Bibliothek in Charlottenburg – Meetup. Gleiches Prinzip wie beim Zoom, aber in Präsenz. 25 Leute aus aller Welt zusammen im Lesesaal. Der Raum wunderschön, die Luft schlecht, die Hitze erdrückend. Dennoch schrieb ich und schrieb. Am Ende war ich sehr zufrieden mit meinem Ergebnis. Die Unterhaltungen davor, in der Pause und danach waren okay. Sie gaben mir nicht besonders viel, obwohl es ja unter anderem darum geht. Auch wenn ich einsam bin, fühlt sich das komisch an. Vielleicht ändert sich das noch.

Kuppel und Café im Bode-Museum
 

Sonntagmorgen: Meetup „Silent Reading“ im Bode-Museum. Ähnliches Prinzip wie tags zuvor, aber nur eine Stunde. Alle lesen für sich, statt für sich zu schreiben. Die Räume imposant, das Café stilvoll – wenn man auf pompös steht. Die Akustik katastrophal. Hier geht es ums Lesen, vor allem aber ums Kennenlernen und den Austausch. Ich unterhielt mich mit netten Leuten aus Lüneburg und Thüringen. Ich las Mama’s Boy, Vol. 1 von David Goudreault. A splendid read!

Thüringen erzählte, es sei Bücherfest am Bebelplatz. Also bin ich spontan hin und habe mit Vertreter:innen von Verlagen gesprochen. Wie ich es hasse, für die Publikation meiner Arbeit zu werben. Alle rieten mir natürlich, eine Agentur zu suchen. Hatte ich ja – bis Corona alles zerstörte. Gut, hilft nichts. Muss mir eine neue suchen. Diese Erkenntnis hat mich ein paar Stunden gekostet. Für den Comic brauche ich auch jemanden. Zwei Sachen, die gut angepackt werden müssen. Eins nach dem anderen – ich bin überfordert.

Am Abend traf ich dann einen alten Schulfreund und ehemaligen Bandkollegen – S. Ich begegne diesen Treffen immer mit gemischten Gefühlen. Ich freue mich darauf, diese Menschen wiederzusehen. Es war schön, ihn an mich zu drücken, den alten Haudegen. Gleichzeitig ist es emotional anstrengend. Es hinterlässt ein Gefühl von Leere, ein Loch. Als ob die Vergangenheit aus den Tupperdosen ausgepackt wird, aber nicht mehr rein, wie früher, sondern zum Verfaulen in die Sonne gelegt.

Wenn es so was wie eine Seele gibt und die aus verschiedenen Abteilungen besteht, dann ist der Teil Hoffnung längst gestorben. Der Teil für Nostalgie hängt zur Hälfte draußen und fault langsam vor sich hin.

Euer Gefühlsverkäufer

Victor Mancini 

2 Kommentare

  1. Schön geschrieben- bist ein guter Gefühlsverkäufer. Das mit der vor sich hin schimmelnden Vergangenheit ist ein schönes Bild 🥲

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© Vic Mancini on Death Row
Maira Gall