Heute ist mein Geburtstag.
Er fing an wie jeder andere Tag auch. Ich liege im Bett, frage mich kurz, warum ich aufstehen sollte. Könnte doch einfach liegenbleiben. Für den Rest meines mir verbliebenen Lebens.
Dann raffe ich mich auf, mache Sit-ups und Beinübungen. Ich lüfte die Bettwäsche, gehe ins Bad, wiege mich. Mittlerweile bin ich auf 68 Kilo runter – sechs weniger als zu den Kortison-Hochphasen. Ich fühle mich körperlich besser denn je seit dem RESET.
Seit 51 Jahren lebe ich nun auf dieser abgefuckten und doch verdammt coolen Welt. Das muss ich mir immer wieder sagen – es ist nicht selbstverständlich. So wie es meinem Körper gerade geht, glaube ich tatsächlich, dass ich auch noch meinen 52. erleben werde.
Wenn ich nicht so dumme Sachen machen würde wie gestern. Ich wollte ins Schwimmbad, um mich abzukühlen – hatte vorher richtig gut geschrieben. Am nächsten liegt das Prinzenbad. Es war schon 13:30 Uhr, als ich losfuhr. Als ich ankam, sah es so aus:
Das hat mich komplett runtergezogen. Ich wollte so gern schwimmen. Aber ich kann nicht eine Stunde anstehen. Das überlebe ich nicht.
Also überlegte ich, wo es besser sein könnte – wusste aber: Im Stadtkern wird’s überall so sein. Dann fiel mir das Schwimmbad am Olympiastadion ein. Normalerweise leer, ideal zum Bahnenziehen. Also bin ich Horst bei der Hitze mit dem Rad bis dorthin gefahren – um folgende Schlange vorzufinden:
Das kommt davon, wenn man sein tumorbefallenes Hirn durch die Hitze kutschiert: Es bleibt kein Neuron übrig, das man noch sinnvoll einsetzen könnte.
Ich fuhr nach Hause, hielt noch am Lietzensee und gönnte mir eine Kugel Zitroneneis. Zum Glück, vermute ich - könnte mich vor Schlimmerem bewahrt haben. Zurück in Friedrichshain kaufte ich ein. Erst in meiner Wohnung wurde mir klar, wie verrückt diese Fahrrad-Odyssee bei der Hitze gewesen war – ohne Mütze. Ich stellte mich sofort unter die Dusche und kühlte meinen Kopf mit eiskaltem Wasser. Danach ging es mir besser. Ich glaube, ich bin knapp einem Hitzeschlag entkommen. Zumindest habe ich bisher noch nicht kotzen müssen. Wenn mein Körper das aushält, werde ich womöglich noch 53.
Zurück zu heute Morgen. Meine Mutter rief an. Um 8:13. Ich hatte meinen Kaffee noch nicht getrunken. Mein Vater wolle mit mir sprechen. Er erzählte von einem Treffen – mit Leuten, die er nur noch Leute nennt, weil er sich keine Namen mehr merken kann. Dann riss der Faden, er driftete in andere Zeiten ab, sprach von Italien oder wiederholte zum dritten Mal, dass es ihm und seiner Frau gut gehe. Nicht meiner Mutter. Ich war wieder ein Fremder. Als meine Mutter ihn aus dem Off ermahnte, er solle mir gratulieren, tat er das brav. Fragte mich, wie alt ich sei. Ich sagte: 51. Er war völlig erschüttert. Als ich ihn fragte, wie alt er denn sei, antwortete er mit 61. Statt der 81, seinem realen Alter. Die Zeitachse ist aus den Fugen geraten. Das Kontinuum verschoben. Ich weinte leise. Und bedankte mich bei ihm.
Als meine Mutter wieder am Apparat war, gratulierte sie kurz und klagte mir dann ihr Leid. Zehn Minuten lang dieselben Probleme, wieder und wieder. Als ich fragte, ob sie mir nicht wenigstens diesen Tag hätte gönnen können, legte sie beleidigt auf.
„Vielen Dank für deinen Anruf“, rief ich in die tote Leitung.
Herzlichen Glückwunsch!
V.M.
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