Beim Meetup war ich fleißig, hab viel geschafft. Ein weiteres Kapitel abgeschlossen. Danach ein wenig harmloses Zeug mit den Leuten geschnackt. Es ging um Fantasy - wieso schreiben eigentlich so viele Leute Genre-Literatur? Vor allem Fantasy fällt mir schwer nachzuvollziehen! Ich habe nichts gegen Fantasy per se, aber es scheint mir die Wohlfühlliteratur der Leute, die sich ihre eigene Welt kreieren, um aus der Realität zu flüchten. Aber immer noch besser als Sachliteratur.
Von Fantasy ging es über zum Vorzeige-Scheißmensch Nr. 1 zurzeit: J. K. Rowling und ihre Assi-Art, sich gegen Transpersonen zu positionieren. Sie spendet bekanntlich verschiedenen Organisationen viel Geld, um deren Klage gegen die Rechte von Transpersonen zu unterstützen. Das ist alles schon arschig genug, aber besonders dämlich finde ich, sich darüber aufzuregen, dass sie keiner mehr mag, außer den Spacken, die genauso konservativ und transfeindlich sind wie sie.
J. K. Rowling beiseite: Ich habe mich amüsiert, weil es so ungezwungen zuging. Ich habe gelacht und über Literatur und das Schreiben gequatscht. Anstrengend ist nur, ständig aufzupassen, den Krebs nicht zu erwähnen, damit man die Stimmung nicht trübt und in Zukunft dieselbe Suppe löffelt wie mit dem bekannten Umfeld. Von denen melden sich übrigens immer weniger. Bald habe ich es geschafft, alle zu vergraulen. Auch Leute, von denen ich es nicht erwartet hätte. Weil sie gar nicht unbedingt die Kriterien erfüllen für das, was mir nicht gut tut: eine Familie, also ein soziales Netzwerk, das ich nicht habe. Der Neid frisst mich in meiner jetzigen Situation auf. Und die stressigen Jobs meiner Freunde, ihre vollen Terminkalender, nach denen ich mich richten müsste.
Am Nachmittag ging’s in die Klinik. Meine Lieblingsonkologin des Todes ist nun endgültig auf der Station, also sehe ich sie wohl nicht mehr. Wenigstens war Nummer 2 da. Ihr habe ich auch gesteckt, dass ich die vom letzten Mal echt empathielos und unsympathisch fand. Weil sie von mir erwartet hatte, mich über das Medikament zu freuen, statt wegen der Todesaussichten Trübsal zu blasen. Sie hat es sich notiert und versucht zu schlichten. Trotzdem hat sie genau verstanden, was ich meinte. Sie sagte auch wieder zwei Dinge, die ich mag:
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Ihre Werte sind die eines Gesunden. Leber-, Nieren- und Herzwerte hervorragend. Lediglich das Cholesterin würde hochgehen, wenn sie das Rosu nicht nehmen. Das liegt am Lorlatinib. Also nicht weglassen – dann habe ich momentan keine Bedenken.
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Wir wollen doch, dass es Ihnen gut geht, solange Sie leben. Und hier betonte sie wieder: Wir reden immerhin von Jahren. Wie viele, kann man natürlich nicht sagen. – Sie lässt keinen Zweifel aufkommen, dass er sich wieder melden wird. Es ist nur eine Frage der Zeit.
Das macht sie nicht, weil sie scheiße ist, sondern um mich vor den falschen Hoffnungen zu warnen, die Leute gern für ihre eigenen Seelenzustände schüren. Wie neulich wieder ein Freund, nach Monaten der Ruhe. Er suggerierte allen Ernstes, ich solle eine Psychoanalyse machen. Der Gedankengang dahinter: Die Psyche habe mir den Krebs beschert, also solle sie ihn mir auch wieder austreiben. Eine moderne Form des Exorzismus. Erst musste ich lachen. Dann ignorieren.
Für die Leute hier, die denken, ich würde jammern: Nein, tue ich nicht. Mir geht es zurzeit recht gut. Auch weil ich begriffen habe, dass das Krebsmedikament launisch ist. Die Nebenwirkungen sind so unterschiedlich und phasenabhängig, dass es dumm wäre, sich einzubilden, man könne sie unter Kontrolle bringen. Zum Beispiel habe ich seit mindestens vier, vielleicht sogar sechs Wochen keine Hitzewallungen mehr in den Beinen. Auch die Stromschläge sind verschwunden – die letzten hatte ich in Thüringen. Seit einer Woche nehme ich kein Clonazepam mehr. Wäre ich abhängig gewesen, hätten die Entzugserscheinungen viel größer sein müssen. Dadurch fühle ich mich sicher, dass ich das Zeug nur nehmen muss, wenn ich es brauche, nicht weil der Körper es schon verlangt. Die Angstzustände, die es verstärkt hat, statt zu schwächen, wenn ich es nicht nehme, sind nun verschwunden. Vielleicht ändert sich das morgen schon wieder. Aber vorläufig ist es gut.
Zurück zu meiner Onkologin des Todes: Sie sagte, dass die Therapierten durch Phasen gingen. Am Anfang sei der Schock — die Erkenntnis, dass man sterben müsse — am stärksten. Die einhergehende Depression werde nach einigen Monaten von einer Art Euphorie abgelöst, weil man merkt, dass man durch das Medikament doch noch eine Weile recht gut leben kann. Dann, so nach sieben bis zehn Monaten, käme die Phase, in der ich mich jetzt befinde – man fällt in ein depressives Loch, weil man sich eine neue Realität, einen neuen Alltag für die verbliebene Zeit aufbauen muss: Aufgaben suchen, die den alten Job ersetzen; einen neuen Rhythmus schaffen, die Ernährung an das Medikament anpassen; die Zeit mit Freunden neu justieren; neue Freunde finden.
Das Medikament ist bekannt dafür, Depressionen auszulösen. Sie rät mir daher zu Psychopharmaka: Antidepressiva.
Ich: Aber ich möchte erstmal nach Australien. Dass ich danach in ein Loch fallen werde, ist ziemlich wahrscheinlich. Vielleicht dann?
Sie: Holen Sie es sich doch schon vorher, dann haben Sie das Medikament schon, ehe es losgeht.
Schlaue Frau, meine Frau Dr. H.
"And here comes the Prozac!" – Heute vereinbare ich einen Termin.
Wer braucht Familie oder Freunde, wenn er das Schreiben und die nötigen Medikamente hat? :-)
Euer
Victor Mancini
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