Freitag, 11. Juli 2025

Es geht um das Buch

Cover des Katalogs der Kurt Wolff Stiftung mit dem Schriftzug „Es geht um das Buch“. Der restliche Teil des Covers ist durch die persönlichen Medikamentenpackungen des Autors überdeckt.

Meine Therapeutin fragte mich wie immer zuerst, wie es mir gehe. Ich sagte zum ersten Mal: GUT. Ohne jede Einschränkung. Das fiel mir selbst erst auf, nachdem ich es gesagt hatte. Dann fragte ich mich, wie das möglich ist.

Erst dachte ich, ich hätte mich einfach damit abgefunden, dass meine Lebenszeit begrenzt ist. Aber das ist Blödsinn. Ich glaube nicht, dass das wirklich geht. Ich rede es mir jeden Tag ein. Ich versuche mir zu sagen, dass ich den verbliebenen Teil so gut und produktiv wie möglich leben werde. Aber die Nebenwirkungen erinnern mich permanent an meine Krankheit. 

Nach langer Überlegung kam ich zu folgendem Schluss: Es ist kein esoterischer Quatsch, kein Hokuspokus und auch keine Psychologie. Es ist das Clonazepam. Eine magische Droge. Ich wünschte, ich hätte in meinem früheren Leben – vor dem RESET – nicht so unreflektiert und unwissend auf Psychopharmaka reagiert.

In den ersten Monaten meiner Krankheit hatte ich keine Ahnung, wie mir geschieht.

Früher hatte ich Depressionen. Aber ich wäre nie auf die Idee gekommen, Medikamente dagegen einzunehmen. Ich dachte, mit genügend Sport, Meditation und Gesprächstherapien ließe sich das schon irgendwie hinbekommen. Doch gewichen sind die Depressionen nie. Die Einsamkeit in meinem Kopf – in meiner Seele – war immer da.

Durch Zufall brachte mich meine Wunderpille – das Krebsmedikament Lorviqua – dazu. Es verlängert zwar meine Lebenszeit, erschwert mir aber auch den Alltag durch Nebenwirkungen. So kam Lorazepam, ein Benzodiazepin, in mein Leben. Es wirkt beruhigend, angst- und spannungslösend und schlaffördernd, hält aber nur maximal 14 Stunden. Also recherchierte ich online und fand das artverwandte Clonazepam mit längerer Wirkungsdauer. Nach Dosierungsversuchen nehme ich jetzt alle drei Tage eine halbe Tablette. Frieden ist im Kopf Mancinis eingekehrt.

Es hilft mir, den Stromkasten in meinem Mundraum unter Kontrolle zu halten, den Alltag zu meistern. Das Besondere daran wurde mir erst im Nachhinein bewusst: Ich habe keine Angstzustände mehr.

Was mit dem Stromkasten begann, endete im Waffenstillstand zwischen Lorviqua und dem Tumor in meinem Kopf. Die ständige Panik, jederzeit sterben zu können, wich einer angenehmen inneren Ruhe.

Wie ihr im Bild sehen könnt, habe ich euch meine Medikamente zusammengestellt. Die möchte ich ein wenig erläutern. Noch einmal zur Erinnerung: Genau genommen habe ich ein ALK-positives Adenokarzinom des nichtkleinzelligen Bronchialkarzinoms (NSCLC = Non-Small Cell Lung Cancer). So heißt die Art meines Tumors. Dabei ist ALK+ eine spezifische Gen-Mutation, eine spezielle, molekular definierte Unterform von NSCLC, die meist bei Nichtraucher:innen oder Leichtraucher:innen unter 60 auftritt.

Nun zum Foto:

Ganz oben: die Königin.
Ich möchte kurz erklären, was Lorviqua (Wirkstoff: Lorlatinib) macht.

Lorviqua kann die Blut-Hirn-Schranke überwinden – eine Barriere, die viele Medikamente vom Gehirn fernhält. Dadurch wirkt es auch gegen Hirnmetastasen bei ALK-positivem Lungenkrebs, was frühere Therapien oft nicht konnten.

Früher, vor dem Durchbruch in der Krebsforschung, also bevor man das Lorlatinib fand, war es so: Waren die Metastasen erstmal im Hirn angelangt, bekam man sie nicht mehr raus. Dann war es bald aus. Heute kann man die Metastasen erreichen, mit dem Lorlatinib schrumpfen und in Schach halten. Solange das gelingt, bleibe ich am Leben. Geht das nicht mehr, ist das Ende eingeläutet.

Das zweite Medikament, Rosuvastatin, ist ein Cholesterolsenker. Eine Nebenwirkung vom Lorlatinib ist nämlich erhöhtes Cholesterin. Cholesterol und Cholesterin ist im Übrigen dasselbe. Das erste wird eher medizinisch verwendet, das zweite im deutschen Sprachgebrauch.

Das dritte, links, ist das Clonazepam. Wenn Lorviqua die Königin ist, dann ist das Clona ihr ergebener Diener. Clona räumt auf, schafft Ordnung und Ruhe. Der Host – ich – kann seines Amtes walten: SCHREIBEN!

Die anderen sind die Bauern auf dem Schachfeld, nicht unwichtig, aber nicht entscheidend:

Torasemid ist eine Wassertablette, ein Diuretikum. Sie hilft mir, das gestaute Wasser abzulassen – wie früher das schlechte Blut. Weil der Krebs in den Lymphknoten sitzt, die es normalerweise ablassen, muss das Tora mit anpacken.

Zolpidem ist ein Schlafmittel nur für den absoluten Notfall. Aber ehrlich gesagt benutze ich es so gut wie nie. Höchstens bei meinen Eltern, wenn der Schlaf nicht von allein kommen mag. Aber Zolpi und Clona vertragen sich nicht so gut. Oder zu gut, je nachdem wie man es nimmt. Zusammen genommen können sie den Schlaf sehr stark verlängern. Falls ihr versteht, was ich meine. 

Loratadin ist ein Antihistaminikum. Gegen Heuschnupfen. Ist der Pollenflug vorbei, kommt es schnell in den Schrank. Bis zur nächsten Saison. Das geht vielen so, nicht nur mir.

Und zum Schluss steht das Lebensmotto: Es geht um das Buch. Ich komme gut voran. Ich habe vier große Kapitel des dritten Teils abgeschlossen. Insgesamt habe ich seit meiner Diagnose mehr als 120 Seiten im Roman geschafft. Es gibt jedoch viel mehr zu schreiben, als ich dachte. Der Roman wird gut. Das spüre ich.

Ich hoffe, die heutige Exkursion in die Medizin des Victor Mancini hat euch gefallen.

Genießt das Leben ohne!

Euer

Theodor Foncini

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Maira Gall