Donnerstag, 16. Oktober 2025

Black Country, Dark Road

Der Alt-Text für das Foto 1 (Black Country Dark Road.jpg) lautet:  Dunkle, neblige Live-Aufnahme der Band Black Country, New Road auf der Bühne; sechs Silhouetten von Musiker:innen im grünen Lichtkegel spielen verschiedene Instrumente vor einem Publikum im Vordergrund.

Black Country, New Road ist eine englische Band, deren Alben ich seit ihrem Debüt 2021 gehört habe. Ich meide bewusst das, was Musikpresse und Feuilletons über Bands schreiben – zu oft verdirbt es mir die Lust an ihnen. Wenn ich lese, dass jemand Mormon ist, Scientologe oder Trump-Supporter, kann ich ihre Musik nicht mehr unbefangen genießen.

Auch gestern war der Sound perfekt. Kein Instrument, kein Mikrofon falsch ausgepegelt. Man hörte alle sechs auf der Bühne so klar, wie man es sich nur erträumen konnte. Sie spielten, als wären sie vom Perfektionshimmel gefallen – keine Note falsch, kein Schlag daneben. Die Gesänge wie Engelschöre, aufeinander abgestimmt und ineinander fließend.

Die Musiker:innen bewegten sich und tauschten ihre Instrumente aus wie Büroangestellte ihre Stifte – ein ständiges Hin und Her. Noch nie habe ich so viele Instrumente von so wenigen Menschen in Relation spielen hören. Ich versuche sie aufzuzählen. Die gängigen zuerst: Schlagzeug, Bass, vier Gitarren mindestens. Damit meine ich nicht nur die physischen Gitarren – E-Gitarre, Akustikgitarre, Baritongitarre, Lap-Steel – sondern auch, dass vier der sechs Mitglieder wenigstens einmal während des Gigs zur Gitarre griffen. So wurde sie zum Allerweltsinstrument degradiert.

Dann gab es das Keyboard, meist als Klavier gespielt, und das Saxofon – weitere Hauptinstrumente der Band. Hinzu kamen Geige, Mandoline, Akkordeon, Flöten (Querflöte, Sopran-, Tenor- und Bassblockflöte), Spinett, und punktuell sogar Harfe und Banjo.

Dazu drei- bis vierstimmiger Gesang – alle sechs sangen.

Trotz oder wegen dieses Overloads spürt man ihre Herkunft, ihre Erziehung, ihre Ausbildung. Mehr als die Hälfte hat sich an einer elitären Privatschule kennengelernt – der Guildhall School of Music and Drama. Ihr Gehabe war unerträglich. Sie wirkten wie brave Kinder von der Waldorfschule oder aus der Christian Sunday School, denen Mama und Papa beigebracht haben, stets gewaltfreie Sprache zu verwenden. Leid kennen sie nur aus Büchern und Filmen.

Sie imitieren ihre Idole, ohne eigenes Profil zu entwickeln. Diese Instrumentenliste klingt für mich nach akademischer Prüfung, nach einem Musikhochschul-Ensemble, das beweisen will, wie viele Kurse es belegt hat. Es fehlt die Fokussierung. Die Mischung aus „Posh-Kids“-Instrumenten (Spinett, Mandoline, Geige) und Rock-Instrumenten wirkt nicht organisch, sondern wie ein kühler, intellektueller Versuch, anders zu sein.

Mir fehlt die Kernidentität. Wenn jeder alles kann und ständig getauscht wird, fehlt die unmittelbare, raue Stimme. Alles Prahlerei. Ich mag einfache, ehrliche, fokussierte Kunst. Selbst wenn ich Radiohead höre, berührt mich jede Zeile von Charles Bukowski mehr – weil sie mein Herz erreicht.

Früher hatten sie einen Sänger namens Isaac Wood. Er stieg 2022 aus, nachdem das zweite Album bereits produziert war. Als er noch dabei war, fühlte ich seinen Schmerz. Seine Stimme, seine Texte waren authentisch. Wahrscheinlich kommt er aus denselben poshen Verhältnissen. Aber seine psychischen Probleme, die ihn die Band verlassen ließen, machten seine Songs aus.

Ich fand die Band gut, höre vielleicht auch künftig noch die ersten beiden Alben. Und auch wenn die Band nichts dafür kann, haben sie mit dem Abgang des Frontmanns und Songwriters ihre Seele verloren. Die verbliebenen Mitglieder sollten sich einen neuen Namen suchen – der alte gehörte einer Band, die ganz anders klang.

Nun fragt ihr euch vielleicht, warum mich das so aufwühlt, was mich daran triggert. Und weshalb ich euch das alles erzähle. Die, die mich kennen, wissen, dass mich mein Klassenkampf nie losgelassen hat und bis ins Grab begleiten wird. Ich finde es falsch, dass privilegierte Kids, die ihr Handwerk an teuren Schulen gelernt haben, Raum bekommen, ihre belanglose Musik zu spielen – und so viele sie voller Begeisterung feiern. Während für die, deren Sound ungeschliffen und verletzlich wirkt, kein Platz mehr bleibt. Weder auf den Bühnen noch in den Herzen der Menschen.

Aber vielleicht hat es auch damit zu tun, dass es meine tiefsten Ängste schürt. Neulich hat wieder jemand den Deutschen Buchpreis gewonnen, der sich bewusst vom eigenen Material entfernt, nichts Persönliches einfließen lässt – ein kühler Profi, wie man ihn hierzulande liebt. Ich fürchte, dass wieder nur die geschliffene, belanglose Kunst in Buchläden und Konzerthallen einzieht. Und dass mein Buch, selbst wenn es erscheint, im Nichts verpufft.
Denn meine Kunst hat nichts mit Dorothee Elmigers oder Black Country, New Road zu tun.

Deswegen wird sie mit mir sterben.

V.M.

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© Vic Mancini on Death Row
Maira Gall