Mein ständiger Begleiter
Ich bin wieder da. In Berlin meine ich. Zwar wieder einsam - ohne meine Freunde und die Berge, die mich mehr als einmal zum Weinen brachten - aber auch in meiner gewohnten Umgebung. Die Ruhe ist eine andere - das Vorbeirauschen der Autos auf der Karl-Marx-Allee; das trötende und dadurch nervtötende Schnäuzen meines widerlichen Nachbars unter mir, der die Polizei ruft, wenn ich sonntags um 16 Uhr staubsauge; der Fernsehturm statt Bergkulisse. Aber ich bin für mich, kann in der Stille meiner vier Wände denken, schreiben, sterben.
Das Sterben ist mein ständiger Begleiter. Keine Sekunde vergeht, in der ich nicht denke, dass es die letzte sein kann. Bin ich unter anderen, gelingt es mir abzuschalten und mich zeitweise abzulenken. Aber es fühlt sich auch fake an. Es ist ungefähr so, wie es sich anfühlen muss, wenn die betrogene Ehefrau von den Seitensprüngen ihres Mannes weiß und gute Miene zum bösen Spiel macht. Es strengt mich auch an, nicht vom Tod zu sprechen. So zu tun, als wäre er nicht omnipräsent.
Beispiel: Am Sonntag war das große Fest von meinen Freunden und Gastgebern M. und Y. Groß ist ein wenig übertrieben. Es kamen circa dreißig Leute, von denen ich knapp die Hälfte kannte. Es gab, wie es üblich ist in Italien, unfassbar viel zu essen (kein Klischee!). Der Fokus liegt leider immer auf dem Essen. Leider. Ich bin kein großer Fan davon. Ich esse gerne und gut, versteht mich nicht falsch. Aber dieses ständige Fressen. Ich habe ja schon öfter erwähnt, dass ich ein Problem damit habe. Man kann in Italien auch nicht einfach mal in die Kneipe gehen, um ein Bier zu trinken. Nein - immer muss gleich eine Fressorgie daraus werden. Und Freunde kann man auch nicht einfach so besuchen. Puuuh, wie anstrengend!
In solchen Momenten merke ich, dass ich doch eher deutsch bin. Als ich die Flaggenmeere dort sah, wurde mir ganz übel. Eine Diskussion mit M. war unmöglich, weil er mir ständig erklären wollte, die würden doch nur wegen der Alpini hängen. Umso schlimmer. Warum muss man jede gute Sache immer gleich mit patriotischen Symbolen feiern? Ekelhaft!
Er sagte, es gehe um Dankbarkeit und Bewunderung für die Gebirgsjäger, die in Zeiten der Not – etwa bei Naturkatastrophen – helfen und manchmal sogar heroisch handeln. Schön und gut. Aber dass dieselben Alpini – durchzogen von erzkonservativen Arschlöchern – Frauen begrapschen (Skandal beim Fest in Trient 2022) und einige von ihnen, obwohl sie offiziell politisch neutral sein müssten, offen die Fratelli d’Italia unterstützen – die Partei der neofaschistischen Regierungschefin Giorgia Meloni (elende Drecksau, Mussoletta!!) – und dass diese Partei mittlerweile im Rathaus von Biella sitzt, macht das Ganze für mich zu einem ziemlich ambivalenten Aufenthalt.
I'm getting sidetracked here — faschism always gets my blood boiling! Ich wollte eigentlich von dem Fest erzählen und was es damit zu tun hat, dass der Tod immer bei mir ist, fast wie ein guter Freund, der mich mitnimmt, sobald das Medikament den Kampf verloren hat.
Nachdem sich alle den Wanst mehrfach vollgeschlagen hatten, wurden die Akustikgitarren ausgepackt. So schön es für die meisten ist, wenn die ollen Kamellen wieder ausgepackt werden – italienische Lieder von Singer-Songwritern wie De André oder De Gregori – beide politisch links auf unterschiedliche Weise! – und dann internationale Evergreens wie Wish You Were Here, Redemption Song oder Hey Jude, sie lassen mich nicht kalt. Aber ich mag dann doch lieber Originalsongs als Covers. Dann fragten sie mich, ob ich nicht spielen möchte. Abgesehen davon, dass ich seit mehr als sechs Monaten kein einziges Mal die Gitarre ernsthaft in die Hand genommen habe, hätte ich auch so niemals einen meiner Songs dort spielen können. Was haben meine Songs dort verloren? Dort, wo alle lachen und fröhlich sind, wo gemeinsam gesungen und gelacht wird, während ich mich gedanklich auf meinen Tod vorbereite und über die nächsten Zeilen in meinem Roman sinniere...
Es ist wie die Geschichte von zwei Männern, die nebeneinander am Tresen sitzen und trinken, ohne sich zu kennen. Der eine stößt an, um das Leben zu feiern, weil er kürzlich geheiratet hat und eine Tochter erwartet. Der andere trinkt zum letzten Mal, bevor er sich von der Brücke stürzt. Und trotzdem trinken sie gemeinsam einen Schnaps.
Ich habe noch eine Ankündigung zum Schluss, die ich bereits am Ende des Textes von "Il 25 aprile" angedeutet habe:
Victor Mancini wird zum Internet-Star! Morgen, von 15 bis 17 Uhr, beantworte ich live Fragen in einem Feature von gutenfrage.net namens AMA: BLICKWECHSEL: Deine Fragen an einen unheilbar kranken Lungenkrebspatienten.
Peace out, euer
#Rezo Mancini
Wo kommt die Krankheit her? Raucher gewesen?
AntwortenLöschenUnd die mit Gehirntumor haben vermutlich zuviel gedacht?
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